Buchbesprechung Varoufakis et al. bescheidene Vorschläge

Unbescheidene Reflektionen über die Eurokrise

Von Jo Achim Geschke |

Bücher als Empfehlung und zur Rezension / Foto NDOZ

Abgesehen von unterirdischem journalistischem Abfall, wie ihn die Bild gegen Griechenland ausstieß, entbehren etliche Berichte über die Eurokrise und Griechenland doch ein wenig der Qualität des Nachdenkens und der Kenntnis von Hintergründen. Aufschluss über die gibt unter anderem das Buch von drei Wirtschaftswissenschaftlern, dessen Text schon 2010 entstand, und das jetzt aktualisiert wurde. Dabei geht es um eine rationale Darstellung, wie Europa zu einem echten Staatenzusammenschluss werden könnte – und zugleich die Eurokrise beseitigt würde. Einer der Autoren: Der (außer in Deutschland) renommierte Professor und Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis.

Der Mann, der unter anderem an amerikanischen Universitäten lehrt, muss zurzeit einiges an Diskriminierungen, falsch zitierten Sätzen und regelrechten Falschmeldungen aushalten. Der Mann Varoufakis ist Minister einer demokratisch gewählten Regierung – auch wenn eine linke Sozialdemokratie den meisten Politikern und auch vielen Journalisten nicht passt. Würde jemand den deutschen Finanzminister in dieser Art verspotten und angreifen, gäbe es einen kreischenden Aufschrei in der deutschen Presse – in der Bild wohl mit großen Buchstaben über eine halbe Seite.

Der Titel : „Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise, von Yanis Varoufakis, Stuart Holland und James K. Galbraith“, (Kunstmann-Verlag). Dieser Titel ist eine undiplomatische Spitze gegen die Austeritätspolitik Deutschlands und der EU, angelehnt an eine bitterböse Satire von Jonathan Swift A Modest Proposal for Preventing the Children of Poor People from Being a Burthen von 1729.  Satiriker Swift hatte übrigens in seinem Steuereinmaleins (1728) bereits ökonomische Thesen behandelt.

Vorab einige Zahlen zum Vergleich : In Deutschland werden in den kommenden zehn Jahren laut Artikel in der ZEIT 1000 Milliarden Euro (1 Billion €) vererbt. Die Staatsschulden Griechenlands liegen zurzeit einiges unter 500 Milliarden. Deutschland wurde seit 1997 acht Mal (und Frankreich 11 mal) von der EU wegen Verletzung er EU-Haushaltsziele (zu hohe Verschuldung) angemahnt. Das BIP Griechenlands ist zwischen 2007 und 2013 – also auch nach dem Eingreifen der so genannten Troika – um 26 % gefallen. Seit Eingreifen der Troika hat sich die Schuldenlast des griechischen Staats in etwa verdreifacht …

Im Kern geht es den drei Wissenschaftlern darum, dass die bisherigen Verträge der EU unverändert  bleiben, aber  dennoch  eine Änderung der bisherigen Austeritätspolitik der EU vorgenommen wird. Dadurch könnte laut Varoufakis, Galbraith und Holland eine Verarmung von Staaten vermieden werden. Oder deutlicher ausformuliert: Dass Bürger  in einzelnen Staaten völlig verarmen, die Gesundheits- und Sozialsysteme  völlig verwahrlosen und damit ein Staat  in die Hände von Ultrarechten oder rechten Nationalisten fällt, die bereits in anderen Staaten Zulauf verzeichnen.

Zweitens würde es den Euro aus einer zurzeit immer hefigeren Krise retten. Zur Erinnerung : Irland hat inzwischen den Beitritt zur EU abgelehnt. Man weiß dort, dass es dann den Bürgern wohl bald schlechter und den Banken besser gehen würde. Der Euro steht beim Schreiben dieses Textes auf 1, 06 Dollar – ein Tiefstand, den niemand so recht mögen kann.

Die „bescheidenen Vorschläge“ in vereinfachter Form:

Varoufakis und die beiden anderen Wissenschaftler plädieren im Buch zum einen für ein „Fall-zu-Fall-Programm für die Banken“. Dabei sollen EZB (Europäische Zentralbank) und ESM (Europäischer Stabilitätsfonds) zeitweilig die Kontrolle über krisengeschüttelte Banken bekommen sowie Anteil an diesen Banken, die sie später wieder verkaufen können, wenn es den Banken besser geht. Vorteil: Die Nationalstaaten brauchen den Banken nicht mit eigenem Geld zu helfen, was sich dann als Staatsschulden niederschlagen würde.

Zweitens: Eine Art neuer Umschuldung. Die EZB übernimmt zeitweise Schulden der Staaten, weil die EZB niedrigere Zinsen für Kredite zahlt als die Staaten (um die 2 Prozent, so Varoufakis et al.) . Die Staaten zahlen das vorrangig zurück, aber das ist wegen der geringen Zinsen wesentlich billiger als bisher. Das entlastet vor allem kriselnde Staaten von ihren Schulden.

Dritter und eigentlich wichtigster Vorschlag: Da plädieren die Wissenschaftler für einen „europäischen New Deal“ - Angelehnt an den Marshall-Plan mit seinen Krediten, dem Deutschland nach 1945 den Aufschwung des Wirtschaftswunders maßgeblich verdankt.  Die Autoren nennen dies ein „investitionsgestütztes Rettungs- und Konvergenzprogramm“.  Die Idee: Die Ungleichgewichte bei den Investitionen und Risse im gemeinsamen Markt strategisch aufzufangen. Daran beteiligt: Die Europäische Investitionsbank (EIB) und der Europäische Investitionsfonds (EIF), unterstützt von der EZB. Sie konzipieren ein Investitionsprogramm für ganz Europa in Höhe von 8 Prozent des BIP in der Eurozone. Sowohl EIB wie EIF finanzieren bereits Investitionsprogramme in der EU. Länder an der „Peripherie der Eurozone“ (Varoufakis) erhalten Investitionshilfe, die nach der Höhe ihrer Arbeitslosenquoten berechnet wird. Die Anleihen, die dabei nötig sind, werden von der EU-Zentralbank (EZB) gestützt. Die Anleihen für das Programm „werden direkt aus den Erträgen der Investitionen beglichen“. Das würde, so die Autoren, „die Investitionen signifikant erhöhen, ohne dass Geld der Steuerzahler aus den Überschussländern (wie Deutschland) eingesetzt wird.“

Die Autoren betonen dabei, dass Staatsschulden zu 5 Prozent zu machen, „selbstmörderisch“ sei. Anleihen zu 2 Prozent nach Europa zu holen, um eine wirtschaftliche Erholung zu erhalten, könne aber sinnvoll sein.

Vierter Vorschlag : Ein Notprogramm für soziale Solidarität. Das soll den Zugang zu Nahrung garantieren und die Grundbedürfnisse bei Strom, Heizung und öffentlichem Verkehr abdecken. Es wird finanziert aus den Zinsen, die  sich aus dem Target 2-Programm zwischen den europäischen Zentralbanken ergeben, sowie in Zukunft aus Transaktions- und Börsenumsatzsteuern. Klar wird dabei auch: Geld fließt durch die Vereinbarungen zwischen den Zentralbanken (Target 2) von finanziell schwachen Ländern nach starken Ländern wie Deutschland, deren Zentralbank dieses Geld an den Bundeshalt weiter gibt. Wodurch sich zumindest ein Grund erklärt, warum der deutsche Finanzminister so wenig Interesse an Varoufakis Vorschlägen zeigt. Varoufakis und seine Mitautoren schlagen vor, diese „Gewinne“ dafür einzusetzen, „um zu verhindern, dass Menschen hungern oder im Winter frieren“, und dafür, Arbeitslose zu unterstützen.

Eine aktuelle Anmerkung  dazu : Die EU-Institutionen haben am 18. März Griechenlands Regierung davor „gewarnt“, Gesetze zu erlassen, die Arme und Arbeitslose unterstützen, weil dies nicht mit den Geldgebern ( Troika) abgesprochen sei ...  

Reaktionen auf Varoufakis Vorschläge

Bisher eher Spott von der schwarzen Null Schäuble, und  Ablehnung bei der EU und der Eurogruppe. Schließlich kann den Neoliberalen und den konservativen Marktgläubigen in den EU-Institutionen kaum recht sein, dass da einer mit linken Ideen kommt und ihre Pfründe angreift. Aber was ist so schlimm an einer linken Regierung in Griechenland ? Bodo Ramelow (Die Linke) ist seit mehr als 100 Tagen im Amt, und Pommernland ist keineswegs abgebrannt. Aber Neoliberalen in EU und Deutschland gefällt eben nicht, dass Varoufakis und Tsipras eine Alternative zur Austeritätspolitik der Eurogruppe und dabei auch Deutschlands aufzeigen. Denn das könnten Länder wie Portugal und Spanien nachmachen. Varoufakis stellt sich eben nicht nur gegen die Wirtschaftsmacht Deutschland, sondern auch gegen eine Wirtschaftsordnung, die sich in den Köpfen der Europäer schon eingenistet hat und als „alternativlos“ gilt. Was nichts anderes heißt, das Varoufakis gegen ein Dogma rebelliert, gegen eine Ideologie. Varoufakis versucht sich nach eigenen Worten dagegen zu wehren, dass Griechenland eine „Schuldenkolonie“ wird.

Wir können das Buch mit den „bescheidenen“ Vorschlägen zur Behebung der Krise in Europa nur wärmstens empfehlen.

(Jo Achim Geschke)

„Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise, von Yanis Varoufakis, Stuart Holland und James K. Galbraith“, Kunstmann-Verlag, 5 Euro