Brechts Die heilige Johanna der Schlachthöfe, Premiere im D Haus

Brechts Heilige Johanna der Schlachthöfe als Theatererlebnis in wundervollen Bildern

Von Jo Achim Geschke |

Johanna der Schlachthoefe

Johanna der Schlachthoefe, v.l. Caroline Cousin, Heiko Raulin, Claudia Hübbecker, Sebastian Tessenow/ Foto(C) Thomas Rabsch, D Haus

Sie steht da, die Schultern leicht zurückgenommen, abwartend, den Kopf distanziert geneigt, eine Frau, die prüft, weit entfernt von naiv, dennoch ein wenig entrückt. Diese Johanna von Caroline Cousin beeindruckt von Beginn an mit einem zurückgenommenen und dennoch zwingendem Ausdruck der Stärke, mit einer faszinierenden Körpersprache. Eine Johanna, die sich perfekt in Roger Vontobels Inszenierung von Brechts Johanna der Schlachthöfe einfügt. Dieser Brecht ist ein Theatererlebnis mit einer immer präsenten Johanna, mit wundervollen Bildern in einem überaus gelungenen Bühnenbild mit starker Lichtregie, Live-Musik und einer Saxophon spielenden Cousin/ Johanna. Und doch bleibt es ein Brecht, ein junger Brecht, und wir erfahren auch viel über die Absurditäten des „Marktes“, den Mythos von Angebot und Nachfrage die den Markt regiere.

Mauler, der Mann im roten Mantel (Heiko Raulin), der Herr des Fleischgeschäfts, lobt zu Beginn eine Maschine, die das Töten der Schweine automatisiert – denn dann braucht es weniger Arbeiter im Ablauf bis zum Fleisch in Blechdosen.  Mauler nennt damit ein Instrument des „Marktes“, das noch heute oft vorgeschoben wird, dass beim Sparen bei den größten Kosten begonnen wird: Den Personalkosten.

Brechts Metzger von Chicago

Johanna, die den Menschen, den Arbeitern helfen will, kommt plötzlich aus den Rohren, die Rauch und Menschen ausspucken. Sie ist der Gegenpol von Kapitalist Mauler. Johanna will den Armen helfen, die keine Arbeit haben und vor den Toren der Fleischfabriken stehen, die Maule rund anderen gehören.

Dieser Fleischkönig, dieser Tönnies Chicagos in Brechts frühem Stück  (1931 zusammen mit Elisabeth Hauptmann geschrieben), ist ein Musterbeispiel des skrupellosen Unternehmers, der veränderte ökonomische Rahmenbedingungen sofort zu seinem Vorteil ausnutzt.  Und doch eine Seite in sich trägt, ein wenig auch Moral und Mitmenschlichkeit zeigt, bis das Gesetz des Profitmachens Oberhand gewinnt.

Die Johanna von Cousin hat durchaus etwas Magisches an sich. Noch anklagend zu Beginn, zieht sie Mauler im roten Mantel in ihren Bann. Mit unnachahmlicher Körpersprache nähert sich diese sich wundernde, zurückhaltende Johanna mit einem Finger dem Gegenpart, der durchaus keine ausgestreckte Hand bietet.

Marktgesetze ausgenutzt

Doch Mauler münzt seine plötzlich aufkeimenden Ekel vor dem Töten der Ochsen blitzschnell um in einen wirtschaftlichen Vorteil: Er verkauft zunächst seine Firma für einen Spotpreis an Cridle (ausgezeichnet: Claudia Hübbecker). Aber schon bald wird klar: Mauler aht auch den Rohstoffmarkt in der Hand, hat heimlich über den Makler Slift (schön schmierig Moritz Klaus) die Ochsen gekauft. Und kann nun seinen Konkurrenten die Preise diktieren oder sie in den Ruin treiben.

Anderer Schwerpunkt

Das alles ist bis heute Marktgesetz pur. Aber Regisseur Vontobel und Dramaturg Koall legen einen anderen Schwerpunkt, nämlich die zwiespältige Beziehung zwischen Kapitalist Mauler und einer Johanna, die aus menschenfreundlichen Motiven den hungernden Arbeitern helfen will.

Die aber sind nicht schlecht, wie Mauler  behauptet, sie sind hungrig, und Brechts „Erstens kommt das Fressen…“ fällt einem sofort ein. Und so lassen sie sich mit 20 kostenlosen Mittagessen ködern.

„Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“

Die liebe Johanna will den Arbeitern helfen, aber die Gesetze des Marktes überrollen sie: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ (Adorno) , wissen wir heute. Mauler macht seinen Profit auf Kosten der Arbeiter und Konkurrenten, und eine Caroline Cousin spielt (tatsächlich ) ihr Saxophon und Johanna muss schließlich erkennen, dass sie erfolglos ist. Sie bleibt entkräftet liegen.

Bei Brecht - dessen „Johanna“ aus politischen Gründen unter anderem von Nazis abgelehnt und erst 1959 Uraufgeführt wurde- wird noch klar, dass ein Generalstreik vielleicht geholfen hätte, aber durch Johanna leider verhindert wurde.  Und Johanna – ganz im Sinne heutiger Lobby-Strategien – von den Marktgläubigen zur Heiligen stilisiert wird, damit sie nicht zur Märtyrerin erklärt werden kann.

Sehr langer Applaus vor allem für Johanna / Cousin und Mauler / Raulin, aber auch für die acht Tänzer*innen, die in hautengen Plastikkostümen „Das Fleisch“ pantomimisch darstellten.

Wie empfehlen gerade bei dieser Inszenierung das aufschlussreiche Programmheft mit den hinreißenden Fotos von Thomas Rabsch.

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https://www.dhaus.de/programm/spielplan/die-heilige-johanna-der-schlachthoefe/1520/