„Faust (to go)“ Premiere in der Christuskirche Oberbilk

Faust (to go) im Wohnmobil und das Opfer der Sinnsuche im Falschen

Von Jo Achim Geschke |

Gretchen, Faust, Mephisto (oben) in Faust to go / Foto Thomas Rabsch D‘Haus

Ein Unfall mit einem Wohnmobil, Feuer, ein Toter - zu sehen auf einem großen Video auf der Seite eines Containers, der Rückseite des Bühnenbilds. Ein Mann liegt auf einem Tisch wie aus der Pathologie im „Tatort“. Oder gleich kommt Kommissarin Heller ... Nein, es treten auf: Drei Menschen in weißen Schutzanzügen der Spurensicherung, beleuchten den Toten auf dem Seziertisch. „Faust (to go)“ des D‘Haus in der Christuskirche beginnt als Inszenierung der Jetztzeit, einer Tragödie der Frau (Margarethe, „Gretchen“) und des immer eilenden Mannes mit dem Kaffeebecher, der immer „to-go“ ist: Im Campingmobil und auch in der Sucht nach Zerstreuung im Kneipenstrudel. Der selbst mit dem kleinen Teufel paktiert, um „Mehr“ zu bekommen und dabei die Beziehung zur vermeintlich geliebten Frau drangibt.

Das Theater kommt in die Stadt – ob gewollt oder den beengten Umständen im „Central“ geschuldet, ist egal. Das Schauspielhaus ist mit diesem Faust in der Oberbilker Christuskirche – übrigens in Nachbarschaft zu großen Unternehmensberater-Konzernen – am Samstagabend mitten in der Stadt, in einer Kirche. Dieser „Faust“ kommt als Inszenierung mit großartigen Video-Szenen, auch aus der Altstadt und dem Rheinufer, mitten aus Düsseldorf. Zudem ist die Christuskirche an der Kruppstraße 11 und Pfarrer Lars Schütt bekannt dafür, junge Kultur und aktuelle Diskussionen in diese Kirche zu holen.

Faust I also. „Faust to go“ ist aber mehr als eine Theater-Interpretation des Goetheschen Faust: Hier gelingt dem Regisseur und den Schauspielern, vor allem Cennet Rüya Voß (Gretchen), Stephan Gorski (Mephisto) und Torben Kessler (Faust), eine Parabel auf die „to-go“ Mentalität des heutigen Menschen. Immer in eilender Suche nach Mehr, immer „to-go“, das Vergnügen suchend, den Genuss, die „After-Work-Party“ in der Medienhafen-Disco. Ein Mann, ein Mensch, der sucht nach sinnlicher Aufregung, nach dem Kitzel des immer Besseren. Der sich mit den mephistophelischen Versprechen nach Mehr verführen lässt , und der doch das Sinnvolle und die erlösende Beziehung nicht findet. Faust narzisstische Angst vor Vergänglichkeit treibt ihn weiter. In der Aufführung wird dieses Rastlose, dies Weiterziehen, auch im Bild des Campingmobils und einer Video-Inszenierung etwa des Zugs durch die Düsseldorfer Kneipen deutlich.

Es ist eine mobile Inszenierung von Regisseur (und Videokünstler) Robert Lehninger, die auch an anderen Orten in der Stadt aufgeführt werden wird. Ein „Experiment“, wie Dramaturgin Beret Evensen im Programmheft schreibt. Ein gelungenes Experiment. Das Bühnenbild von Irina Schicketanz schafft die Voraussetzung: Ein Container bildet sowohl eine Projektionsfläche für die Videos, zugleich treten aus den Türen des Containers die Schauspieler heraus und damit aus den laufenden Videos in die reale Welt der Bühne.

Der Unfall zu Beginn, das Feuer am Wohnmobil, ein Schauspieler spricht aus dem Video. Faust erhebt sich vom Seziertisch, streift das weiße Tuch ab. Dieser Faust tritt zunächst in der Maske des alten, kahlen Faust auf. Und spricht den bekannten Text „Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin und leider auch Theologie! Durchaus studiert mit heißem Bemühen. Da steh ich nun ich armer Tor….“ Er nimmt aber bald die Maske ab, die auf dem Tisch der Spurensicherung zusammen mit verbrannten Schnipseln liegen bleibt. Faust ist ein junger Mann, mit T-Shirt und legerem Sakko.

Wagner tritt bald herzu, sortiert auf dem Tisch der Spurensicherung halb verbrannte Fotofetzen aus dem Unfall zusammen. Später wird er Faust auf dem Osterspaziergang begleiten und dessen Monolog übernehmen („Vom Eise befreit …), und Schauspieler Thiemo Schwarz wird auch Gretchens Bruder darstellen, den Faust töten wird.

Im Video auf der Containerleinwand erscheint das Wohnmobil auf den Rheinwiesen, eine Frau mit Hund kommt heran. Und dann geht es mit diesem Pudel im echten Oberkasseler „Pudelparadies“ weiter. Der Pudel wird shamponiert – und die Containertür öffnet sich, ein junger Mann sitzt dort mit Shampoo im Haar vor Faust. „Das also war des Pudels Kern“…. Mephisto (Stephan Gorski) ist der junge Zyniker, der meint zu wissen, dass der Mensch versaut ist, wankelmütig, verführbar zu Ab-wegen abseits der Moral. Der junge Mephisto zeigt aber auch, dass es eben nicht nur die Tumben, Ungebildeten sind, die Verderben bringen. Das Böse kommt auch in der Gestalt des intelligenten, wortgewandten oder gar gebildeten Menschen daher.

Mephisto und Faust ziehen nach ihrem Pakt über die Seele des Faust durch die echten Kneipen der Stadt, im Video erschienen Bilder vom ausgelassenen Spaß auf dem Riesenrad, in Kneipen und an der Fortuna-Pommesbude. Eine Frau, gekleidet wie auf dem berühmten Gemälde „Goethe in Italien“, liegt auf dem Bett des Wohnwagens … Sinnenfreude, Zerstreuung, Feiern … Mit Virtuell-Reality-Brillen rasen Mephisto und Faust ausgelassen durch ein digitales Düsseldorf, erleben Cyber-Sex.

Und dann Margarete, das Gretchen: Ein derart bühnenpräsentes mitreißendes „Gretchen“ wie von Cennet Rüya Voß lässt sogar den zuschauenden Journalisten/ Kritiker vergessen, dass er sich gerade etwas notieren wollte. Sie setzt eine lila-silbrige Perücke auf, singt lautstark einen Rocksong, und freut sich mit großen Augen über das Geschenk des Faust, trägt es (im Video wieder) zur Marthe Schwerdtlein in ein Oberkasseler Kosmetik-Institut, tritt aus dem Bild und dem Container heraus in die Szene - und lässt sich schließlich von Faust verführen.

Irgendwann sitzt Gretchen / Cennet Rüya Voß im Video vor einem Pfeiler der Kniebrücke, auf dem steht in roter Schrift: „Das Junge-Mädchen löst sich auf“. Gretchen, die ehrliche, die Aufrichtige, wird ihr uneheliches Kind töten, weil sie deswegen von der Gesellschaft geächtet würde.Sie wird verurteilt und hingerichtet werden. Im Video zieht Faust sie vor einer Autobahntoilette über den Weg, lässt sie schließlich liegen. Gretchens berühmten Satz „Heinrich, mir graut vor Dir“, ihren Wahnsinn in der Dusche, im Kerker, spielt die 24-jährige Cennet Rüya Voß beeindruckend intensiv nur wenige Meter vor dem Publikum auf den Kirchenbänken.

Faust gibt dem Drängen von Mephisto nach und verlässt sie. Er zieht mit Mephisto weiter im Wohnmobil. Auf der Strecke bleibt: Die Frau, die den Gegenpol des Mannes bildet, mit ehrlicher Zuneigung, die Opfer wird. („Gerettet“? Nun ja – bei Göthen vielleicht.) Und Faust? Er, der rastlos suchende, endet ja schließlich doch, auf dem Tisch, der aussieht wie bei einer Spurensicherung im Tatort oder bei Kommissarin Heller. Oder doch nicht?

Lang anhaltender, begeisterter Beifall vom Publikum, in dem neben vielen jungen Zuschauern übrigens auch Ex-Intendant Günther Beelitz saß.

Weitere Aufführungen und Karten unter www.dhaus.de

(Autor Jo Achim Geschke)