Lesung Wolfgang Schorlau Krimi „Schützende Hand“

NSU-Terror – wer schoss wirklich?

Von Jo Achim Geschke |

Wolfgang Schorlau bei der Lesung in der Bibabuze / Foto Jo Achim Geschke NDOZ.de

Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt - das NSU-Terrortrio ist bekannt, morgen läuft im ZDF ein Spielfilm, ein Versuch der Charakterisierung der schweigenden Angeklagten Beate Zschäpe. Aber wie konnte sich der NSU-Terror so lange ausbreiten, wie sind Mundlos und Böhnhardt, die rechtsradikalen Terroristen, erschossen worden – und von wem? Wie war womöglich der Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten daran beteiligt? Autor Wolfgang Schorlau legte bei einer Lesung in der Buchhandlung Bibabuze Fakten vor, die nicht nur Teil eines Romans sind – Schorlau zitiert in „Die schützende Hand“ Dokumente aus Polizeiprotokollen, Obduktionsberichten und dem Untersuchungsausschuss. Und die lassen viele Fragen ungeklärt...

Als sich Mundlos und Böhnhardt im Wohnmobil 2011 bei Eisenach - angeblich – töteten, wurden am Tatort zwei Patronenhülsen gefunden. Bei seiner (ausverkauften) Lesung in der Buchhandlung Bibabuze bringt Schorlau einige Fakten dar: Tatwaffe soll ein Repetiergewehr gewesen sein, ein Remington 1300 Defender. (Aus TV-Krimis kennt man sowas als „Pumpgun“.)  Wenn repetiert wird für den nächsten Schuss, wird eine Patronenhülse ausgeworfen. Einer hat also den anderen erschossen, dann Feuer gelegt und dann sich selbst erschossen... Es sind ja zwei Patronenhülsen gefunden worden, damals, am 4. November 2011.  Erst hat der eine den anderen erschossen, dann sich selbst – und woher stammt dann die zweite Patronenhülse?

Schorlau weist leicht auf den Widerspruch hin: Wenn sich der zweite NSU-Terrorist selbst erschossen hat, wie kann dann eine 2. Hülse vorhanden sein – die doch nur nach dem repetieren ausgeworfen wird? Soll der zweite Mann noch im Tod repetiert haben ?  Und warum finden sich nach einem Kopfschuss keine Blutspuren hinter dem angeblichen Selbstmörder an der Wand im Wohnmobil?

Es sind nicht die einzigen Ungereimtheiten, die Schorlau aufdeckt: Am Tatort wurden nicht sachgemäß Spuren gesichert, der Wohnwagen, in dem die beiden sich angeblich erschossen haben, wurde nach Eintreffen  der Polizei auf einen Abschleppwagen gehievt – über eine Schräge, die alle Spuren im angebrannten Wohnwagen durcheinander purzeln ließ. Zudem wurden eventuell aufschlussreiche, aber den Verfassungsschutz womöglich belastende  Akten bekanntlich geschreddert  ...

All das ist nicht nur bei Autor Schorlau nachzulesen, es gab bereits Fernsehsendungen wie „ZDF Zoom“ über die Ungereimtheiten und Widerspruche bei dieser angeblichen Selbsttötung der NSU-Terroristen in Eisenach. Doch Schorlau hat sie in einen Roman verpackt, der ungemein fesselt.

Schorlau hat bereits acht weitere Romane mit seiner Hauptfigur, dem ehemaligen BKA-Ermittler Dengler, geschrieben. Immer sind sie dicht an der Realität, wie etwa dem Attentat am Münchener Oktoberfest.

Doch dieser sogenannte Krimi ist anders: Schorlau zitiert in diesem brisanten Fall aus Protokollen und Untersuchungsberichten, ja sogar aus einem Obduktionsbericht. Und neben der Krimi-Handlung, die den Leser in die Handlung hineinzieht, bringen die offiziellen Dokumente (abgesetzt in anderer Schrift)  einen zum frösteln. Waren tatsächlich staatliche Stellen beteiligt....  Im Anhang sind alle Quellen sorgfältig aufgeführt, wer an den Zitaten zweifelt, kann also nachlesen. Das alles ist, wird beim Lesen deutlich, fernab aller Verschwörungstheorie ...

Der Rezensent hat nach der Lesung  im Bibabuze (in Kooperation mit der Heinrrich Böll Stifung, Lernort Alter Schlachthof, HSD) das 384-Seiten Buch inklusive der Anmerkungen sorgfältig gelesen. Ein Buch, frei von Verschwörungstheorien – dafür gibt es zu viele offizielle Dokumente. Und dennoch ein gelungener, mitreißender Kriminalroman, der einen frösteln lässt angesichts der noch immer fragwürdigen Rolle des Verfassungsschutzes.

(Text Jo Achim Geschke)

 Die schützende Hand“ – Wolfgang Schorlau, Denglers achter Fall – Kiepenheuer und Witsch, 14,90 Euro –

Gewidmet den Familien der Opfer des NSU, „In Erinnerung an alle 178 Todesopfer rechtsradikaler Gewalt seit 1990“ –

Wolfgang Schorlau lebt in Stuttgart, neben den acht Krimis um den Ermittler Dengler  hat er auch den Roman „Sommer am Bosporus“ veröffentlicht  und den Band „Stuttgart 21 , die Argumente“ herausgegeben. Sein Buch „Die schützende Hand“ war u.a. Thema in der Sendung „aspekte“.

Der Dengler-Krimi um die NSU-Terroristen soll demnächst verfilmt werden.

Spielfilm um Beate Zschäpe ( mit der hervorragenden Maria Simon) im ZDF am morgigen Dienstag, 20:15 Uhr, im ZDF.