Lesung in der Zentralbibliothek: „Feminismus? Unbedingt!“

Vulva bis Lohngerechtigkeit: Margarete Stokowski und Mithu M. Sanyal lasen und diskutierten

Von Jo Achim Geschke |

Margarete Stokowski & Mithu M. Sanyal in der Zentralbibliothek / Foto Jo Achim Geschke

Wenn Whisky auf dem Tisch steht zur Lesung – dann ist das nicht immer Harry Rowohlt. Margarete Stokowski und Mithu M. Sanyal lasen und diskutierten in der Zentralbibliothek vor rund 200 überwiegend jungen ZuhörerInnen aus ihren Büchern, und so locker wie beim seligen Harry Rowohlt ( gest. 2015) ging´s allemal zu. Überschrift: „Feminismus? Unbedingt!“: Stokowski (Jahrgang 1986) und Sanyal (Jahrgang 1971) lasen aus ihren Büchern und erzählten von Reaktionen, da konnten Lacher aber auch betretene Gesichter nicht ausbleiben.

Zunächst mal die Autorinnen: Margarete Stokowski ist Kolumnistin bei Spiegel (SPON) und schrieb unter anderem für taz, die Zeit und Missy Magazin. In ihrem Buch „Untenrum frei“ beschreibt sie die Entstehung von Rollenbildern und Schamgefühlen immer auch in einem politischen, gesellschaftlichen Kontext - und auch aus eigenen Erfahrungen. Stokowski lebt in Berlin, in Neukölln.

Dr. Mithu Melanie Sanyal ist Düsseldorferin, lebt in Düsseldorf, schreibt Beiträge für den WDR (WDR 5), Deutschlandfunk und auch die taz. Ihr erstes Buch „Vulva. Enthüllungen des unsichtbaren Geschlechts“ wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Ihr aktuelles Buch „Vergewaltigung“ behandelt unter anderem das Vorurteil von männlicher Aggressivität und angeblich passiver Opferrolle der Frau.

Den Titel zum Buch hatte sie zuerst parat, erzählte Stokowski. Oben rum, also politisch, sei man frei, aber unten rum? „Gab es eine sexuelle Revolution? Was ist eigentlich danach passiert?“ Grundsätzliche Strukturen hätten sich wohl nach ´68 nicht geändert, zieht sie Bilanz und belegt das schon im ersten Kapitel. Schon als kleines Mädchen, nach einem Sturz mit dem Fahrrad, als sich der Lenker zwischen ihre Beine rammt, fehlen ihr die Worte für „unten“, „untenrum“. „Warum eigentlich? Unten sind die Füße, Mann“. Es herrscht die Scham. Die Vulva ist nicht präsent, eher der Penis. Das es Vulva heißt, lernte sie erst später. „Klingt manchmal immer noch komisch…. Irgendwo zwischen Volvo und Pulpo“. Ihre zuweilen bös-humorige, auch scharfzüngige Art zu formulieren macht es immer leicht, ernsthafte These mit einem Lächeln aufzunehmen.

„Die sexuelle Revolution“ habe sicherlich einiges in Bewegung gebracht, so Stokowski auf eine Nachfrage in der Diskussion gegen Ende des Abends. Aber in Foren oder etwa „Fragen sie Dr. Sommer“ zeige sich, dass es trotz Verfügbarkeit von sehr viel Informationen über Sexualität sich nicht so viel verändert über die Jahre. Zudem habe der Rassismus etwa in der AfD viel mit Sexualität zu tun, mit einem rückwärts gewandten Frauenbild. Es gebe eben Gruppen, die wollten das Frauenbild des 19. Jahrhunderts, die Frau in der (angeblich heilen) Familie. Je mehr Menschen Unsicherheit verspürten, desto mehr suchten sie sich kleine, überschaubare, enge Räume, in denen alles sicher scheine. Rückzugsbewegungen wie die der AfD wollten dafür Sicherheit bieten. Und Mithu Sanyal ergänzte; Rechte fühlten sich eben bedroht von Schwulen, Trans und und.

Mithu M. Sanyal räumt in ihrem Buch mit dem Vorurteil auf, dass nur Frauen die Opfer von sexueller Gewalt seien. Es ist ein Frauenbild aus den Zeiten des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1871. Paragraph 177 des Strafgesetzbuches habe früher nur Frauen als Opfer und nur Männer als Täter gekannt. Erst 1997 habe es bei Gewalt in der Ehe Änderungen zu „Personen“ und eben nicht nur Frauen gegeben. Frauen seien eben nicht nur „Opfer“, Männer seien ebenso gefährdet.

Ihr Buch habe gerade beim Opferbegriff eine Menge „Aufregung“ verursacht, bis hin zu Hassmails, so Sanyal. Der Begriff „Erlebende“ wurde von Frauen vorgeschlagen.

Das Gespräch zwischen den beiden Autorinnen kam zwangsläufig auf „equal pay“, auf Lohngerechtigkeit : Frauen verdienen eben weniger als Männer, auch Frauen in technischen Berufen. Und technische Berufen waren lange Zeit kein Thema für die Berufswahl von Frauen – egal ob bei Müttern oder Vätern. In Diskussionen, so Stokowski, „fangen die Leute aber immer an, über Hormone zu reden. Liegt an den Hormonen, Testosteron und so, das Männer immer so ein ein bisschen grober sind“. Im 19. Jahrhundert hieß es noch, Frauen könnten nicht studieren, weil ihr Rückenmark kürzer sei…

Die Geschlechterrollen sind noch heute festgeschrieben: Ein Junge, berichtete Mutter Sanyal, trägt eben keine roten Sandalen, das sind Mädchensandalen, habe man ihr gesagt. Mädchen und Jungen werden, so Stokowski, sehr früh auf Rollenbilder festgelegt: Jungs, die in Mädchengruppen spielen, „die sind dann schwul – mit 3 Jahren“.

Fazit von Mithu Sanyal: „Feminismus macht auch das Leben von Männern schöner und besser.“

Übrigens trugen beide einen Aufkleber mit dem türkischen“Hayir“ - „Nein“ zum türkischen Referendum, und Stokowski einen Kapuzenpulli (Hoodi) mit der Aufschrift „free deniz“.

Zitat Stokowski: „Es geht darum, wie die Freiheit im Kleinen mit der Freiheit im Großen zusammenhängt, und am Ende wird sich zeigen: Es ist dieselbe.“

Annette Krohn (Stadtbibliothek) erzählte bei der Einführung zum Abend, dass sie sich mit der Einladung der beiden einen Traum erfüllt hätte: Sie hatte das Buch von Margarete Stokowski gelesen und fand es so gut, dass sie es nicht nur weiter empfahl, sie verschenkte es auch mehrfach. Ebenso das Buch von Sanyal.  Kann Mann verstehen. Ich habe es auch mehrfach weiter empfohlen. Gilt für beide Bücher.

Margarete Stokowski, „Untenrum frei“, Rowohlt, 2016, 19,95 Euro

Mithu M. Sanyal, „Vergewaltigung, Aspekte eines Verbrechens“, Edition Nautilus, 16 Euro

(Autor: Jo Achim Geschke)