„Bungalow“ von Helene Hegemann - Uraufführung Schauspielhaus

„Bungalow“ von Helene Hegemann – Wenn die Welt auf der Kippe steht

Von Jo Achim Geschke |

Lea Ruckpaul in „Bungalow“ von Helene Hegemann / Foto © D Haus, Thomas Rabsch

Es knallt, eine Licht und Ton-Explosion, Menschen fliegen auf die Bühne, von einer Frau ist nur das von einer Handlampe angestrahlte Gesicht zu sehen, sie begrüßt die Zuschauer. Eine Frau, die zurück blickt, jetzt, da der dritte Weltkrieg ausgebrochen ist. Und dann tritt sie ins Licht, sie ist ein Kind, ihre Mutter malt da irgendwas im Hintergrund, sie wohnen in einem Hochhaus, einer Beton-Mietskaserne. Die kleine „Charlie“ steht am Mikrofon in Trainingsklamotten, und berichtet von ihrer Angst, ihrer Einsamkeit mit der besoffenen, psychotischen Mutter, im Hochhaus, und wie sie sehnsüchtig auf diese Bungalows zwischen den Mietskasernen schaut. Auf das Schauspieler-Paar, das sie im Bungalow beobachtet, dass ihre Sehnsucht ist. Es ist der Beginn der Uraufführung von Helene Hegemanns „Bungalow“, mit einer phantastischen Lea Ruckpaul, die atemlos und verloren und einsam in der Masse durch das Chaos redet in einer gelungenen Inszenierung in der Regie von Simon Solberg.

Charlie hat Angst vor der Zukunft, „wo selbst die Leute aus dem Fernsehen sterben werden.“ Charlys Eltern haben sich getrennt, als sie sieben Jahre alt war. Ihre Mutter säuft, die Küche, die Wohnung sieht versaut aus. Die Hochhaus-Tristesse wird für Charlie erhellt, als ein Paar in einen der Bungalows einzieht, die zwischen den Hochhäusern stehen. Ein Schauspieler-Paar (köstlich in den Großaufnahmen der Video-Projektionen: Minna Wündrich und Sebastian Tessenow!), es weckt Phantasien in Charlie, die ohnehin Geschichten erfindet, die aus der grauen Tristesse herausführen, Geschichten etwa vom Ferienhaus des Vaters. Der Vater (Florian Lange) möchte seine Tochter bei sich haben, vervollständigt ein harmonisches Vater-Tochter-Bild an der Wand, während er immer wieder Papier kaut. Er läuft mit einem großen Kirmes-Teddy herum, den er seiner Tochter schenken wollte - als sie 12 wurde. Die erzählt beim Schaukeln von den Phantasien beim ersten Porno-Gucken und ihrem ersten Orgasmus mit elf Jahren. Die im Suff völlig psychotisch agierende Mutter (erfreulich verhalten  und doch intensiv gespielt von Judith Rosmair) schafft immer wieder Chaos, schließlich wird mit dem Freund renoviert.

Die Hochhaus-Siedlung mit den Bungalows mittendrin schafft Chaos wie die Mutter. Eine Frau will sich umbringen, berichtet der Vater, sie stürzt sich hinunter mit ihrem Mann, liegt auf ihm beim Aufprall, überlebt, er stirbt. Lakonisch bitterer Humor, bitter wie die Wohnverhältnisse.

Charlie lernt schließlich die beiden Schauspieler kennen, die da im Bungalow ihre Phantasie geweckt haben. Denen geht es, untypisch für Deutschland, finanziell offenbar ganz gut, sie lesen Fichte und philosophieren abgefahren über Schauspieler.

Autorin Hegemann ist 27 Jahre jung. Bungalow ist ihr dritter Roman, einen hat sie in eigener Regie verfilmt ("Axolotl overkill" mit Jasna Fritzi Bauer). Die Autorin war bei der Uraufführung anwesend.

Lea Ruckpaul, schmal, durchtrainiert, spielt mit ihren 32 Jahren eine 16 Jährige, glaubhaft, wie sie schon in „Fanny und Alexander“ den Alexander spielte. Ihr gelingt der Spagat zwischen Kind und erwachsener, gereifter Frau. Und sie liegt doch als Kind als schreiendes Elend dort, wie auf der Kreide-Zeichnung hinter ihr. Der Mangel, der emotionale Hunger, ist immer da, bis es auch im Hochhaus zum Chaos, zum Knall kommt. Charlie hat Verantwortung übernommen für die Mutter, immer, schon mit elf Jahren. Als es zur Explosion in der Siedlung kommt, trägt sie sie auf Händen.  „Die Welt existiert nur dann, wenn sie auf der Kippe steht“, sagt Charlie.

Lange anhaltener Beifall für ausgezeichnete Schauspieler*innen und eine gelungene Inszenierung.

Wie immer, lohnt der Blick in das informative Programmheft.

(Autor Jo Achim Geschke)

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