Jubel bei Premiere von „Cabaret“ im Schauspielhaus

„Cabaret“ – mit bejubelten Musical-Songs hinein ins wilde Berlin der 20er

Von Jo Achim Geschke |

Cabaret D Haus

Lou Strenger als Sally Bowles (Mitte) in „Cabaret“ am Schauspielhaus . / Foto © Thomas Rabsch , D Haus.

„Willkommen, Bienvenue, Welcome - Meine Damen und Herren, Mesdames et messieurs
Ladies and Gentlemen und alles was dazwischen ist.“ Der Conférencier im „Tik Tak Club“ begrüßt uns in allbekannter Weise . Später wird er unter Androhungen von Gewalt dieses queere „und alles was dazwischen ist“ weglassen müssen. „Cabaret“ spielt 1929 in Berlin, und unverkennbar deutet sich 1933 an. Im Schauspielhaus feierte „Cabaret“ am Samstag Premiere. Schauspieler:innen, Tänzer:innen, Musiker:innen brachten eine Inszenierung auf die große Bühne, die das Publikum noch vor dem Fall des letzten Vorhangs zu Standing Ovation und ungebremstem Jubel brachten.

Es ist das Berlin der großen Freiheiten, der allzu lockeren Sitten, wie die Konservativen meinten. Autor Christopher Isherwood hat fast autobiographisch diese Zeit in Berlin beschrieben. Am Theater feierte das Stück dann schließlich 1966 in New York Premiere, die meisten kennen es aber wohl aus dem Film von 1972, der mit Sängerin Liza Minelli als Sally Bowles  acht Oscars einspielte.

Sally Bowles (mit super Stimme Lou Strenger)  trifft auf den Autor Clifford Bradshaw , gespielt von Belendjwa Peter, beschrieben als „(er*sie / they*them) ist ein*e transgender und non-binäre*r Physical Theatre Artist, Schauspieler*in, Performer*in“.  Bradshaw träumt vom Erfolg als Autor, Sally träumt vom großen Glück als Star im „Tik Tak Club“. Sie verführt Bradshaw, beim ihm wohnen zu dürfen, denn er hat ein Zimmer bei „Fräulein Schneider“. Rosa Enskat, bekannt etwa aus in „Mutter Courage und ihre Kinder“, ist als Zimmerwirtin „Fräulein Schneider“ einfach großartig.

Der Obsthändler Herr Schultz (Thomas Wittmann) will  „Fräulein Schneider“ gerne heiraten, und sie ist auch nicht abgeneigt : „Sie haben guten Grund, optimistisch zu sein“, meint sie zu seinem Antrag. Aber an Ihrem Haus prangt bereits das Plakat der Nationalsozialisten.

Der nette joviale Herr Ernst Ludwig wird ihr bald in netter Form klar machen, dass die Heirat mit einem Juden wie Herrn Schultz das Ende ihrer Zimmervermietung und damit ihrer Existenzsicherung bedeutet. Der nette Herr Ernst Ludwig wird sich bald in schwarzem Leder als Nazi zeigen.

„Maybe this time“

Sally Bowles träumt wie so viele vom Star-Ruhm, von Erfolg im Showbiz, von Geld und finanzieller Sicherheit. Erzählungen vom Aufstieg, von Glanz und Ruhm gab es seit den späten 20er-Jahren ebenso wie bis zur heutigen Zeit, das knallharte Geschäft dahinter wird erfolgreich hinter Glamour ausgeblendet – insofern ein Abbild des gnadenlosen Kapitalismus pur, der so gar keinen Lack und Lippenstift aufträgt.

Die Show- und Schlagerstars des Milliardengeschäfts dieser Branche verführen mit Insignien des Erfolgs wie Geld und Reisen – aber alles in netter Form, nicht zuviel Sex, das könnte die Käufer / Fans/ Follower vergraulen. Während andere wiederum mit klaren Sex-Botschaften ein bestimmtes Männer-Klientel anziehen.

Dramaturgin Janine Ortiz beschreibt das sehr klar in einem Text des Programmhefts, dass ich wieder mal empfehle.

Heute kommen da wohl noch Influencerinnen hinzu, die Millionen Fans und Follower auf Instagram und Facebook (doch, immer noch) zählen, die teils die Showstars abgelöst haben, sie führen vor mit teuren Hotels bei Reisen, teuren Accessoires und teurer Mode und gaukeln ein Traumbild vor.

Ein ganzes Swing-Ochester

Auch Sallys Traum wird nicht aufgehen. Wenn Lou Strenger als Sally die bekannten Songs „Money makes the world go around“ oder „Bye bye mein lieber Herr“ anstimmt, braucht das den Vergleich zum Film  nicht zu scheuen. Alles, was das große Ensemble vom wilden Berlin und dem „Tik Tak Club“ bringt, verdient den spontanen Szenenapplaus, den es im Großen Haus immer wieder gibt.

Das liegt auch an den hervorragenden Musiker:innen unter der Leitung von Matts Johan Leenders, wobei man sich immer fragt: Wie können acht – wenn auch hervorragende - Musiker:innen als ein ganzes Swing-Ochester aufspielen?

Regisseur André Kaczmarczyk, der hinreißend den Conférencier spielt, ist es gelungen, mit einem großartigen Ensemble ein „Cabaret“ zu inszenieren, das den Glamour des „wilden“ Berlins mit dem Erstarken der Nationalsozialisten und dem Ende der Weimarer Republik zu verknüpfen vermag.

 Der schwarze Autor Cliff wird übel zusammengeschlagen, Herr Schultz will woandershin, sein Laden ist eh demoliert worden. Der Conférencier wird gezwungen, sein Loblied auf die Toleranz mit als Affen kostümierten Tänzer:innen zu singen.

Immer wieder gibt es Szenenapplaus, aber mit Blick auf die erstarkten, gerade in die Regierung gewählten Faschist:innen in Italien oder die Versuche rechter Politiker:innen in Deutschland, sich populistisch den Wähler:innen rechtsaußen anzudienen, werden beim Applaus für die ausgezeichneten Schauspieler:innen die Hände schwer. Erst recht, wenn die Nationalisten auf der Bühne dieses Natur und Heimat verklärende Lied mit „Deutschland, morgen bist Du mein Land“ anstimmen. Ich konnte da nicht klatschen.

„Life is a Cabaret, old chum“ singt Sally schließlich im schwarzen Sakko statt im Glitzer,

… What good is sitting, Alone in your room? Come hear the music play, Life is a cabaret, old chum, come to the cabaret…“ und ihre Bitterkeit, ihr trotzige Verzweiflung ist aus der Intonation herauszuhören. 

„Nun? Sind ihre Sorgen vergessen?“ fragt süffisant Conférencier und Regisseur Kaczmarczyk schließlich.

Nö.

Aber es war ein wundervolles Theater-Erlebnis.

Noch bevor der Vorhang ganz unten ist, erhebt sich das Publikum im Saal, Jubel und Standing Ovation für das große und großartige Ensemble mit den Musiker:innen.

In der anschließenden Premierenfeier – der ersten wieder nach Jahren – werden die Musiker und auch die Zweitbesetzung für „Cabaret“ vorgestellt. Die nächsten Termine sind ausverkauft bis auf Restkarten, den Spielplan gibt es unter

www.dhaus.de