Alex & Stefan on tour: Radikale Ideen, neue Märkte? Einblicke in die Zukunft der Gastronomie

Rasmus Munk über Holistic Cuisine bei der Rolling Pin Convention 2025 in Düsseldorf – wenn Küche zum Medium wird

Von Alexandra Scholz-Marcovich, Stefan Scholz |

Visionär auf der Bühne: Rasmus Munk erklärt, wie CO₂ zur Basis künftiger Nahrungsmittel werden kann. / Foto: Stefan Scholz, NDOZ
Visionär auf der Bühne: Rasmus Munk erklärt, wie CO₂ zur Basis künftiger Nahrungsmittel werden kann. / Foto: Stefan Scholz, NDOZ

Visionär auf der Bühne: Rasmus Munk erklärt, wie CO₂ zur Basis künftiger Nahrungsmittel werden kann. / Foto: Stefan Scholz, NDOZ

Areal Böhler, Dienstagvormittag in Düsseldorf: volle Hallen, internationale Stars der Gastronomie, 10.874 Besucher:innen – ein neuer Rekord. Die Rolling Pin Convention 2025 macht Düsseldorf für zwei Tage zum Treffpunkt der internationalen Gastroszene. Unter dem Motto „Be Unique or Die“ diskutierten Spitzenköch:innen, Sommeliers und Unternehmer:innen über die Zukunft der Branche – von Fine Dining bis Food-Tech.

Zwischen Networking, Expo und Preisverleihungen haben wir uns vor die Summit.Stage gesetzt, um einen der spannendsten Speaker live zu erleben: Rasmus Munk, 2-Sterne-Koch aus Kopenhagen und Gründer des legendären Alchemist.

Seine Küche gilt als radikal, seine Vision als irritierend – und gerade deshalb als faszinierend. Von kulinarischen Provokationen bis zu Zukunftsszenarien wie einem Dinner in der Stratosphäre spannt er den Bogen weit.

Doch wie realistisch sind seine Ideen – und welche Fragen wirft das für unsere eigene Zukunft auf?

Auf der Bühne: Rasmus Munk

11:30 Uhr. Das Licht dimmt, ein kurzes Video läuft. Dann betritt Rasmus Munk die Bühne. Sein erstes Stichwort: Storytelling.

„Ich komme aus einer Bauernfamilie in Jütland – bis zu meinem 15. Lebensjahr war ich nur einmal in einem Restaurant, und das war McDonald’s“, erzählt Munk mit einem Lächeln.

„Erst als ich in der achten Klasse das Planetarium besuchte, habe ich verstanden, was Immersion bedeutet – dieses Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen. Und genau das wollte ich später in meinem Restaurant schaffen.“

Eine Idee, die er wortwörtlich umgesetzt hat: „Die Inspiration für unseren Ball-Pit-Raum kam aus meiner Kindheit – der Ort, an dem ich mich als Kind am freiesten fühlte, war das Bällebad bei McDonald’s.“

Ein Raum voller Farben, Musik und Bewegung – als Hommage an die spielerische Freiheit der Kindheit, transformiert in Kunst und Gastronomie.

Heute gilt sein Alchemist als eines der spektakulärsten Restaurants Europas: ein sechsstündiges Gesamtkunstwerk aus über 50 Gängen, Kunstinstallationen und gesellschaftlichen Botschaften.

„Jeder Gang ist ein Manifest“, sagt Munk. „Ich will meine Gäste nicht nur satt machen – ich will sie bewegen, irritieren, zum Nachdenken bringen.“ Für ihn ist Essen mehr als Nahrung:

„Food is my medium“,

erklärt er. „Ich will Themen ansprechen, die uns alle betreffen – von Umwelt bis Ethik.“

Visionen, die überraschen

"Holistic Cuisine" sei für Munk nicht ein Trend, sondern ein Ansatz, Wissenschaft, Kunst, Genuss und Aktivismus zu verbinden.

„Wir müssen über das hinausgehen, was Essen traditionell bedeutet. Es kann ein Werkzeug sein, um auf Probleme hinzuweisen“, sagt er. „Wir müssen radikal neu denken, wenn wir zehn Milliarden Menschen ernähren wollen“, betont er.

Munk spricht nicht nur über Innovation, sondern über Verantwortung. Seine Gerichte sind Denkanstöße – Kunstwerke, die Politik und Emotion verbinden.

Wenn Essen zum Experiment wird: „Ein Gericht heißt Tongue Kiss: serviert auf einer Silikon-Zunge, die man tatsächlich ‚"küssen" muss, um zu essen. Für mich ist das ein Icebreaker – und eine Frage: Warum haben sich Messer, Gabel und Löffel seit Jahrhunderten kaum verändert? Essen darf auch irritieren und Neues erfahrbar machen.“ 

Mit dem Gericht Hunger führt Munk seinen Gästen die Widersprüche unserer globalen Esskultur drastisch vor Augen:

 „Das Gericht Hunger wird direkt vor dem Gast präsentiert. Es ist wie ein Kaninchen-Sashimi – dänisches Kaninchen, das Filet sehr dünn geschnitten und auf einem silbernen Brustkorb angerichtet … Man löst das Fleisch vom Brustkorb.“

Mit solchen Inszenierungen will er nicht provozieren, sondern sensibilisieren. Sein Ziel: Essen als Spiegel gesellschaftlicher Realitäten – und als Auslöser für Empathie.

„George Orwells 1984 ist für mich heute aktueller denn je – eine Metapher für die Welt, in der wir leben.“

Dinner in der Stratosphäre

Als die Spannung im Saal steigt, spricht Rasmus Munk über eines seiner spektakulärsten Projekte: ein Dinner in der Stratosphäre. Gemeinsam mit Ingenieur:innen und Forscher:innen arbeitet er an einer Technologie, die auf einem NASA-Wasserstoffballon basiert. In einer kleinen Kapsel, die an diesem riesigen Ballon befestigt ist, sollen Gäste bis in die obere Atmosphäre aufsteigen – CO₂-neutral, zwei Stunden hinauf, zwei Stunden über der Erde, zwei Stunden zurück.

„Wir werden das gesamte gastronomische Erlebnis rund um dieses Stratosphären-Dinner gestalten“, erklärt Munk.

Der Blick auf die Erde von oben – ohne Grenzen, ohne Mauern – soll dabei zum Ausgangspunkt eines neuen Bewusstseins werden: Küche als Medium für Perspektivwechsel.

Für das Projekt hat sein Team bereits das „Space Bread“ entwickelt: eine mit 10.000 % Luft aufgeschlagene und gefriergetrocknete Sojasauce aus Kyoto, veredelt mit einem Hauch Kaviar.

„Es ist zuerst knusprig und verschwindet dann sofort im Mund“, sagt Munk.

Was wie Science-Fiction klingt, hat auch eine menschliche Dimension. In Kooperation mit dem neuen Mary Elizabeth Hospital in Kopenhagen – einem Kinderkrankenhaus, das 2027 eröffnet wird – entwickelt Munk essbare „Luftblasen“ für Kinder mit Krebs, die nach einer Chemotherapie nicht mehr schlucken können. So können sie wieder Geschmack und Knuspergefühl erleben – ganz ohne Schmerzen. Für Munk ist das genauso bedeutend wie ein Sterne-Menü.

Damit verknüpft er Zukunftsvision und Empathie, Technologie und Menschlichkeit. Sein Dinner in der Stratosphäre ist mehr als ein Spektakel – es ist eine Einladung, unsere Welt von oben zu betrachten und neu zu denken.

Nach diesem Ausblick ins All kehrt Munk gedanklich zurück auf die Erde – zu Projekten, die zeigen, dass Zukunft auch im Kleinen beginnt: im Labor, in der Küche, im Dialog zwischen Wissenschaft und Genuss.

Essen als Experimentierfeld

Munk denkt Küche als Labor – als Ort, an dem Forschung, Nachhaltigkeit und Kreativität zusammenfinden. In seinem Team entstehen Projekte, die Lebensmittelreste neu denken und Nebenprodukte in wertvolle Ressourcen verwandeln.

Brauereitreber statt Kakao:

„Wir nutzen Brauereitreber als Alternative zu Schokoladeohne Kakao. Rund 40 Millionen Tonnen fallen als Nebenstrom an, heute fast nur als Tierfutter. In den letzten Jahren sind die Schokoladenpreise um über 300 % gestiegen.“

Die Textur und Aromen ähneln Schokolade – ein Upcycling-Ansatz mit industrieller Relevanz, der die Grenzen zwischen Genuss und Nachhaltigkeit verschiebt.

Rapspresskuchen als Fleischersatz:

Raps ist der wichtigste Proteinträger in Europa (51 %). 99 % des Rapspresskuchens landen im Tierfutter, 1 % in Biogas. Wir haben eine patentierte Technologie entwickelt – nur fünf Zutaten, natürliche Fermentation – als Alternative zu Fleisch. Nimmt man die weltweiten Mengen, ließe sich der Proteinbedarf von 800 Millionen Menschen decken.“

Protein aus CO₂:

„Wir wandeln CO₂ in Acetat und lassen Mikroben darauf wachsen, die Protein liefern – ohne Zucker, ohne Stärke. In zwei Jahren haben wir Prototypen; zwei Jahre später, also 2030, könnten wir eine Milliarde Menschen pro Jahr ernähren. Spora/Alchemist liefern Geschmack und Texturen.“


Das Projekt läuft im Rahmen des internationalen Acetate Consortium, unterstützt von der Novo Nordisk Foundation und der Gates Foundation.

Damit zeigt Munk, dass kulinarische Innovation weit über den Teller hinausreicht – dorthin, wo Wissenschaft, Ethik und globale Verantwortung zusammenkommen.

Zwischen Vision und Realität

Doch Munks Vortrag bleibt nicht im Idealismus stehen. Er macht klar: Technologien brauchen nicht nur Forschung, sondern auch Regulierung und Akzeptanz. Viele Innovationen stoßen an Grenzen von Normen, Märkten und Gewohnheiten.

Munk kennt die Hürden: „Alles, was wir entwickeln, muss nicht nur funktionieren, sondern auch schmecken. Sonst bleibt es im Labor.“ Und er verweist auf die Bürokratie:

"Doch die Zulassung bremst die Innovation: Das EU-Novel-Food-Verfahren dauert drei Jahre und kostet 15 Millionen Euro.“  In dieser Zeit hungern Menschen weiter. Das ist frustrierend.

Am Ende seiner Präsentation wird es still im Saal. Munk blickt ins Publikum – und spricht über Verantwortung:

„Köchinnen und Köche der Zukunft sollten ihr Medium nicht nur als Handwerk verstehen. Mit Essen lässt sich viel mehr bewirken – und es kann die Zukunft, in der wir leben, entscheidend prägen.“

Fazit – Düsseldorf als Bühne der Zukunft

So endet die Session mit einer leisen Frage im Raum: Ist die Welt bereit für diese radikalen Lösungen?

Das Publikum war sichtlich beeindruckt – gespannte Ruhe, dann anhaltender Applaus. Doch die Frage bleibt: Für wen sind diese Visionen gedacht? Munk erzählt gern, dass seine Faszination für Gastronomie bei McDonald’s begann – ein Erlebnis für alle. Heute kostet ein Menü im Alchemist rund 5.400 DKK (ca. 720 Euro); das geplante Dinner in der Stratosphäre wird mit 495.000 US-Dollar veranschlagt. Vielleicht adressiert Munk damit bewusst jene Elite, deren Aufmerksamkeit und Mittel helfen sollen, Forschung und Skalierung zu finanzieren. Historisch ist das nicht neu: Große Sprünge brauchten oft Mäzene, bevor sie allen zugutekamen

Düsseldorf wurde für zwei Tage zur Bühne dieser Zukunft: Während draußen Dry-Aged-Beef, veganes Tatar und bunte Kochshows lockten, öffnete Rasmus Munk ein Fenster in eine mögliche nächste Phase der Gastronomie – als Experimentierfeld, als gesellschaftliches Statement und vielleicht als Hebel, um globale Krisen anzugehen.

Doch so visionär die Projekte sind, so klar bleiben die Grenzen: EU-Normen und Novel-Food-Zulassungen (lange Verfahren, hohe Kosten), Akzeptanz in Markt und Alltag sowie die Abhängigkeit von großen Stiftungen und Konsortien. Ob diese Ideen den Sprung vom Labor in das tägliche Leben schaffen, ist offen.

Sicher ist nur: Rasmus Munk hat die Debatte eröffnet – über die Zukunft des Essens, über Macht und Verantwortung in der Küche und über die Frage, ob Innovation allein reicht oder ob auch Gesellschaft und Politik bereit sein müssen, diesen Weg mitzugehen.

Provokante Schlussfrage: Ist das noch Gastronomie – oder schon der Beginn einer neuen, globalen Lebensmittelindustrie?

Wer ist Rasmus Munk?

  • Geboren 1991 in Randers, Dänemark
  • 2-Sterne-Koch und Gründer des Restaurants Alchemist in Kopenhagen (seit 2019)
  • Bekannt für seine radikalen, multisensorischen Menü-Erlebnisse, die Kunst, Politik und Wissenschaft verbinden
  • 2023 Gründung von Spora, einem globalen Food Research Center

Was ist Holistic Cuisine?

  • Ein von Munk entwickeltes Konzept, das Gastronomie als Gesamtkunstwerk versteht
  • Geht über das Essen hinaus: integriert Design, Kunst, Technologie, Aktivismus und Wissenschaft
  • Ziel: Gäste nicht nur kulinarisch zu berühren, sondern auch emotional, intellektuell und gesellschaftlich herauszufordern
  • The Holistic Cuisine Manifest

 

Alex & Stefan on tour – Eindrücke aus den Hallen

Abseits der großen Bühne bot die Rolling Pin.Convention ein lebendiges Bild davon, wie vielfältig die Gastro-Welt heute ist. Zwischen den Gängen des Areal Böhler trafen wir auf dicht gedrängte Besucher:innen, die neugierig neue Produkte testeten und ins Gespräch kamen.

Ob innovative Fleischalternativen, spannende Start-up-Ideen oder glänzende High-Tech-Geräte für die Profiküche – die Messe zeigte, wie breit das Spektrum der Branche geworden ist. Besonders beeindruckend: die offene Stimmung. Viele Aussteller:innen nahmen sich Zeit, ihre Konzepte zu erklären, und die Mischung aus internationalem Flair und lokaler Verwurzelung machte Düsseldorf für zwei Tage tatsächlich zur Kulinarik-Hauptstadt.

Für Düsseldorf bedeutet das mehr als ein Branchentreffen: Mit der Rolling Pin Convention positioniert sich die Stadt als Hotspot für internationale Gastro-Trends – und wird für zwei Tage zur Bühne der Zukunft.

Möglich wird das Format durch die enge Partnerschaft mit METRO Deutschland, Hauptpartner der Convention.

„Auch im zweiten Jahr in Düsseldorf hat die RPC bei Besucher:innen, Ausstellern und Speakern neue Maßstäbe gesetzt. Die Symbiose zwischen Chefs in Town und der RPC war auf beiden Events deutlich spürbar“, sagt Martin Behle, Management Board METRO AG.

Auch Rolling Pin-Gründer Jürgen Pichler zieht eine positive Bilanz: „Wissen vermehrt sich nur, wenn man es teilt. Gemeinsam mit METRO Deutschland haben wir Düsseldorf für zwei Tage zur Kulinarik-Hauptstadt Europas gemacht.“

Rolling Pin Convention 2025 – Zahlen & Fakten

1 – Alexander Herrmann & Tobias Bätz | AURA by Alexander Herrmann & Tobias Bätz
2 – Dominik Schmid & Tohru Nakamura | Tohru in der Schreiberei
3 – Rosina Ostler | Restaurant Alois – Dallmayr Fine Dining

Quellen: Spora – Rasmus Munk Research Center, Novo Nordisk Foundation - Acetate Consortium, Rolling Pin - Rasmus Munk Profil , rollingpinconvention.de