Arbeit und Struktur als Uraufführung oder das fast Unmögliche auf die Bühne gebracht

Herrndorfs „Arbeit und Struktur“ in Robert Koalls Fassung im Schauspielhaus - Uraufführung

Von Jo Achim Geschke |

Arbeit und Struktur D Haus

Herrndorfs „Arbeit und Struktur“ mit Moritz Klaus, Florian Lange, Caroline Cousin / Foto © DHaus Melanie Zanin

Dramaturg Robert Koall ist es gelungen, sich dem Leben von Autor Wolfgang Herrndorf, einem Leben ohne Hoffnung, mit Humor und teilnehmender Distanz zu nähern. Und mit Regisseur Adrian Figueroa und drei hervorragenden Schauspieler:innen eine ausgezeichnete Annäherung an Herrndorfs „Arbeit und Struktur“ ins Theater zu bringen.

Intro

Am 26. August jährte sich der Tag des Suizids des schwerkranken Autors. Herrndorf studierte zunächst erfolgreich Malerei, bevor er begann, zu schreiben. Nachdem er 2010 die Diagnose „Glioblastom“ (ein bösartiger Hirntumor) bekam, begann er rastlos zu schreiben, um die ihm verbleibende Zeit für Bücher zu nutzen. Er schrieb den Roman „Tschick“, der in sehr kurzer Zeit millionenfache Auflage erreichte, verfilmt und als Schullektüre eingesetzt wurde. Außerdem „Sand“ . Vor allem aber die Chronologie seiner Krankheit zum Tode im WWW, eine Chronik, die bald sehr viele Leser hatte und dann auch in Herrndorfs Urteil Literatur wurde: „Arbeit und Struktur“. Der Chefdramaturg des Schauspielhauses Robert Koall , der das riesige Werk zur Bühnenfassung verdichtete, schrieb: „Er ringt um Fassung im Angesicht des Todes und sucht nach einer Haltung, die er bald in der Lakonie findet, bald in einem eigenen Humor, bald in tiefer Traurigkeit, bald in der Sucht nach dem, was ihm Halt geben kann, seine Arbeit und eine Struktur.“

Vor kurzem ist auch die erste Biografie Herrndorfs von Tobias Rüther bei Rowohlt erscheinen.

Das erste Jahr

Koall, Regisseur Figueroa und Bühnenbildnerin Irina Schickedanz arbeiten mit drei Darsteller:innen. Florian Lange, der mit intensivem Spiel zum Abbild des Autors wird, mit Caroline Cousin, die präsent, glaubhaft und wandelbar den schwierigen Part übernimmt, die Jugend, die Erinnerung und die Zitate aus den Romanen zu spielen, und Motitz Klaus, der ihr männlicher Gegenpart ist.

Die Bühne ist eine Wohnung, Herrndorfs Wohnung, in der sich wie in seinem Web-Blog „Arbeit und Struktur“ nach und nach Fenster, Einblicke öffnen, ob im Bad oder in der Küche. Cousin zeigt etwa die  Banalität des Alltags, der trotz allem weiter geht, in der Küche, beim Hantieren am Kühlschrank, oder Moritz Klaus duscht in der Badewanne.

Cousin zitiert aus dem Gedicht „In der Heimat“ von Georg von der Vring (gestorben 1961), das Herrndorf mochte, und das immer wieder, bis zum Schluss, in Zitaten auftaucht.

Im Februar 2010 bekommt er die Diagnose „Glioblastom“. Er ist 45 Jahre alt. Florian Lange lässt auch diese Szene sehr intensiv werden.

Herrndorf / Lange : „Ich öffne zu Hause  die Dateien zu einem Jugendroman…“

Der Roman „Tschick“ entsteht, dazu läuft hinter der Video-Großaufnahme von Herrndorf / Lange ein Video einer nächtlichen Autofahrt über eine Landstraße.

Das zweite Jahr

2011. Herrndorf / Lange und  Roman-Ego Moritz Klaus erklären, wie eine Strahlentherapie funktioniert. „Amy Whinehouse“ sagt Cousin lakonisch – es ist ihr Todesjahr.

Chaos, Krebstherapie, Schreiben.

Cousin und Klaus machen Polaroids von sich, die elend lange brauchen, um sich zu entwickeln.

„Tschick“ hat die 100.000er Auflage längst überschritten.

Herrndorf/ lange zitieren aus dem Blog,

Schüler:innen fragen an, Herrrndorf: „Ich bitte um Verzeihung, aber ich habe keine Zeit zu antworten.“

Das dritte Jahr

Lichtstreifen wie beim Scannen der MRTs laufen über die Darsteller:innen, „mein Leben ist immer noch mein Leben“, sagt Herrndorf. Der Tumor wächst weiter.

Das letzte Jahr

Die Texte aus dem Blog erscheinen als weiße Schrift über die ganze Bühne projeziert, wie die Zeitangaben der Jahre ....

„Ein großer Spaß, dieses Sterben. Nur das Warten nervt.“

Herrndorf /Lange bringt das mit einem furchtbaren Lächeln.

Cousin zitiert das Lieblingsgedicht von Herrndorf „In der Heimat“, zeigt auf die Sterne oben, „und die Sterne, sieben Sterne, stehn im Fenster, blass wie einst…“

Der 26. August 20213 ist wohl der letzte Tag, an dem der Autor bewusst sein Leben beenden kann.

Vor einer Lichtkaskade zitiert Cousin die letzten Zeilen des Gedichts.

Vorhang.

Eine großartige Hommage an einen Autor, ein hervorragend gelungenes Theaterstück, das mit Respekt und Empathie dem Autor und dem schwierigen Thema gerecht wird.

Langer Beifall und Jubel mit Standing Ovation für die drei Schauspieler:innen und das Ensemble.

Besetzung

Mit Caroline Cousin, Moritz Klaus, Florian Lange

Regie Adrian Figueroa

Bühne Irina Schicketanz

Kostüm Malena Modéer

Musik Ketan Bhatti

Video Benjamin Krieg

Licht Thomas Krammer

Dramaturgie Robert Koall

Dauer 1 Stunde 30 Minuten — keine Pause

TERMINE :

So, 17.09. / 16:00 - 17:30

Schauspielhaus — Kleines Haus -  Ausverkauft evtl. Restkarten an der Abendkasse

So, 24.09. / 16:00 - 17:30

Sa, 30.09. / 20:00 - 21:30

So, 08.10. / 16:00 - 17:30

Do, 12.10. / 20:00 - 21:30, Einführung 19:30 h

Abo Do

Fr, 27.10. / 20:00 - 21:30

Fr, 03.11. / 20:00 - 21:30

Frühbucher

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