„Konsens“ – Premiere im Schauspielhaus

„#meetoo“, seelische Kälte und die Unfähigkeit zu kommunizieren: „Konsens“ Premiere im D´Haus

Von Jo Achim Geschke |

Konsens, Ensemble /Foto Sandra Then D´Haus

Konsens oder eben nicht, Kommunikation als Verständigung oder eben nicht: Autorin Nina Raine hat Gerichtsprozesse in England besucht und sich die Argumentationen der Anwälte in Vergewaltigungsprozessen ebenso wie der eingeschüchterten weiblichen Opfer genau angesehen. Da steht noch heute die Alltagssprache der Opfer und Zeugen gegen mehr oder weniger geschliffene juristische Formulierungen der Anwälte – mit Betonung auf juristisch. In „Konsens“ sind die Anwälte selbstgefällig, blasiert, doch das ist nur ein Aspekt der deutschsprachigen Uraufführung von Nina Raines „Konsens“ am Schauspielhaus.

Anwälte, ihre Frauen und eine Schauspielerin treffen sich, es kommt zum verbalenWettbewerb in einem Hipster-Geplänkel der gut Verdienenden. Die Männer sind Juristen, eine der Frauen ebenso. So wird durch zynische Wortwahl und den Dünkel klar, dass Edward Vergewaltiger verteidigt, Matt der Ankläger ist. Auch Jake ebenso wie Edwards Frau sind Anwälte, die Wortwahl aller ist abgehoben und verletzend. Ankläger Matt (Moritz Führmann) ist von den Anwälten als erfolglos bei Frauen und als langweilig verschrien,

Doch schon jetzt taucht Gayle am Rande der Bühne auf. Gayle (Karin Pfammatter) ist vergewaltigt worden, ihr Prozess steht bevor. Anwalt Edward ist sich seines Siegs vor Gericht schon jetzt sicher.

Gayle sitzt schließlich auf einer Bank, Ankläger Matt (Führmann) spricht mit Gayle und versucht, Verständnis für sie aufzubringen. Sie versteht nicht: Sie hatte Angst vor dem Täter, hat aus Angst nicht alles gesagt. Was der Ankläger als furchtbar auffasst – für den Prozess. Gayles Angst und ihre Reaktionen danach werden ihr vom Anwalt des Täters als Einverständnis (engl. consent) ausgelegt.

Es handelt sich zwar um angelsächsisches Recht, aber die Strategien sind auch in Deutschland bekannt. Verteidiger Edward, den Torben Kessler zynisch und kalt bis zum Gefrierpunkt dargestellt, kennt die juristischen Winkelzüge, um die vergewaltigte Gayle vor der Jury unglaubwürdig hinzustellen.

Der Vergewaltiger wird nicht verurteilt.

 

Es ist nicht nur ein Stück zur #meetoo – Debatte. Aber es formuliert mit scharfem Blick eine fatale Praxis, der vergewaltigten Frau nicht zu glauben. Einvernehmlicher Sex oder nicht ? Muss die Frau als Opfer sich verteidigen? Vor allem durch den öffentlichen Diskurs zu #meetoo und auch dem „Nein heißt Nein“ (2016) in Deutschland ist eine kleine Wende eingetreten: Frauen wird zunächst mal eher geglaubt, als dies früher vor Gericht gang und gäbe war. Die „#meetoo“-Debatte ist längst nicht zu Ende, und Nina Raines Stück im Schauspielhaus hat das Format, die Debatte auch noch nach dem Schlussapplaus weiter anzufachen.

In die Silvesterfeier der Juristen nach dem Prozess aber platzt Gayle, die Vergewaltigte, fordert Recht. Sie wird abgewiesen. Sie wird sich erhängen.

Bei dieser Silvesterfeier kommt es zu entlarvenden Szenen, wenn sich Kitty (mitreißend Sonja Beißwenger) und Ehemann Matt spielerisch mit dem Messer bedrohen. Die Selbstherrlichkeit der Anwälte und ihre arrogante Distanz wird letztlich bis zum Zusammenbruch zerstört: Anwältin Rachel (Cathleen Baumann) wirft Anwalt Jake wegen seiner Affäre hinaus, Jake (Thiemo Schwarz) klappt larmoyant zusammen.

Die Schwierigkeiten der Kommunikation, wenn sie denn ohne Einfühlung und selbstbezogen geführt wird, holen die Juristen im Alltag ein. Ihre oberflächlich heile Welt wird in die Mühen des realen Alltags gezogen. Die zynische Sprache der Anwälte wird plötzlich Teil ihres Lebens. Ohne Empathie, Einfühlung, bricht die Verständigung zusammen, es bleiben Lebenslügen und Unverständnis.

Anwalt Edward beginnt eine Affäre mit Schauspielerin Zara (Tabea Bettin), seine Frau Kitty (Sonja Beißwenger) hat eine Affäre mit Ankläger Matt, Edward dreht durch, kontrolliert das Smartphone seiner Frau. Und dann hat Edward (Ed) plötzlich Angst, seine Frau Kitty will ihm das kleine, gerade geborene Kind wegnehmen. Edward wirft seiner Frau Kitty vor, ein Kind abgetrieben zu haben, nur um ihn zu bestrafen.

Diese Szene schafft die Verbindung zu Medea, die Zara als Rolle spielen soll. Zara tritt auch im Medea-Kostüm auf, zudem erscheint sie als Projektion im Hintergund. Medea tötet in der antiken Mythologie ihre und Jasons Kinder, um sich an ihm zu rächen, weil er sie verstoßen und eine andere geheiratet hat. In der Literatur von Psychoanalyse und in der Justiz ist dieses Medea-Motiv oder Medea-Komplex oftmals Thema.

Viel Applaus für „Konsens“ und die Schauspieler, die ein komplexes Stück mit teils bedrückender Glaubwürdigkeit eindrucksvoll auf die Bühne bringen. Zum Schluss erhält auch die englische Autorin Nina Raine auf der Bühne Beifall für ihr in England bereits hochgelobtes Theater.

Das Schauspielhaus unter Intendant Wilfried Schulz löst auch mit diesem „Konsens“ , wie kürzlich auch bei „Nathan to go“, weiterhin sein Versprechen ein, Aktuelles zum Nach- und Überdenken auf die Bühne und in die Stadt zu bringen.

Zum Bühnenbild: Im Hintergrund der Bühne erscheint eine überlebensgroße weiße Figur. Sie stellt die heilige Agnes dar – in der Katholischen Kirche Schutzpatronin der Jungfrauen und jungen Mädchen. Der Legende nach sollte sie vergewaltigt werden, weil sie die Heirat mit dem Sohn des Präfekten verweigerte. Gedenktag ist der 21. Januar,also der Tag der deutschen Premiere.

(Autor Jo Achim Geschke)

Weitere Vorstellungen von „Konsens“ und Karten unter www.dhaus.de

Moritz Führmann, Karin Pfammatter / Foto Sandra Then D´Haus