Das Stück von Eugène Ionesco wurde 1959 in Düsseldorf uraufgeführt. In der jetzigen Inszenierung unter Regisseurin Selen Kara mit einem beeindruckenden Ensemble hört man die Nashörner „bumm bumm bumm“ einher trampeln, und sie trampeln nicht nur eine Katze nieder (hervorragend wie immer Claudia Hübbecker mit Plüschkatze). Ein Streit über die Herkunft der Nashörner – asiatisch oder afrikanisch? – führt zum „Logiker“, dessen unsinnige Schlussfolgerungen Florian Lange mit dem herrlich trotteligen Markus Danzeisen schön absurd über die Bühne bringt.
Wenn Madame Papillon (Hübbecker) und Mademoiselle Dudard (Fnot Taddese, auch Café-Besitzerin) später die Anpassung aller an die Nashörner und die Vermassung verharmlosen, sagt nur Bérenger (Heiko Raulin) „Ich habe Angst, mich zu verwandeln.“
„Gehen Sie an die frische Luft“, empfiehlt jemand, und alle wollen diese Sprache lernen, der bumm-bumm-Nashörner, nur Bérenger sagt „Das ist doch keine Sprache“.
Erschreckend modern
Man hört im eigenen Kopf deutlich, wie die „Brandmauer“ fällt. Oh, ein Nashorn, heißt es zu Beginn, und schon im zweiten Bild heißt es: Was soll schon dran sein, alles normal. Im eigenen Kopf kommen die Politikersätze auf wie „Man muss sie mit politischen Argumenten besiegen“ – das haben sie damals, 1932 ff., auch gesagt.
Gelungen ist die Einordnung der Inszenierung im wie immer empfehlenswerten Programmheft: Im Interview mit dem Juristen und ehemaligen „Handelsblatt“-Journalisten Maximilian Steinbeis verweist dieser auf aktuelle Versuche, die Nashörner, die Feinde der offenen freien Demokratie als ganz normal und harmlos darzustellen. Versuche, die ja aus einer konzertierten Strategie von Gruppen hervorgehen, die längst international vernetzt sind, von Deutschland über Österreich und die USA bis zu Geldflüssen aus Russland.
Absurdes Theater heute
Ionesco gilt als der Vertreter des „Absurden Theaters“. Er war als Autor ab 1957 Mitglied des absurden “Collège de Pataphysique“, zu dem ab 1948 Schriftsteller wie Raymond Queneau, Boris Vian oder Künstler wie Man Ray und Filmemacher gehörten. Ionesco schrieb 1957 zunächst eine Novelle mit dem Titel „Rhinoceros“, bevor er das Theaterstück verfasste. 1959 wurde es in Düsseldorf unter Intendant Stroux uraufgeführt, für Frankreich schien es zu brisant.
Allgemeine Verunsicherung
Klimakrise, Feminismus, Konzentration von Milliardenvermögen in wenigen Händen, Gefahren durch Krieg mitten in Europa - Verunsicherungen ergreifen längst die vermeintliche Mitte der Gesellschaft – „weil es nichts gibt, woran man sich halten kann“, heißt es so treffend bei Brecht.
Im Stück wird die gefährliche Massenbewegung von fast allen verharmlost, die anderen werden ja lediglich zu Nashörnern. Nur Bérenger kann dem Zwang widerstehen, ein massiges Nashorn inmitten der Masse zu werden.
Der Muff der verspießerten Bonner Republik scheint da in der phantastischen Inszenierung von Selen Kara auf, wird zumindest den älteren Zuschauer:innen deutlich. Sich anpassen, ordentlich sein, ordentliche Haarschnitte mit messerscharfem Scheitel … das kommt ja inzwischen wieder. Wer anders ist, wird schief angesehen. Aber ohne unseren Verlust der Vielfalt und unsere Passivität wären populistische Organisationen ja gar nicht möglich.
Aber wenn denn eine rechtsextreme Partei mal 20 Prozent und mehr erreicht – muss „man“ sich ihren Nashörnern anpassen? (Demokratisch gewählt? Die Nazis hatten in der Reichstagswahl vom 6. November 1932 mehr als 33 Prozent der Stimmen, hier in Düsseldorf auch. Hätte man damals nicht den Nashörnern, pardon, der NSDAP zugestimmt, hätte sie sogar verboten, wären Millionen Tote, der Holocaust, und unendliches Leid in der Welt vermieden worden.)
Zum Ende des Stücks erheben sich im Publikum etwa 15 ganz normale, alltäglich gekleidete Zuschauer:innen, die schon vor Beginn im Foyer einhergingen, und gehen nun auf die Bühne und laufen hin und her – Nashörner, aus unseren Reihen – die Bérenger völlig ignorieren.
Langer Jubel und Applaus für das Ensemble und die Inszenierung (Besetzung siehe unten) bei der Premiere.
Weitere Termine und Karten unter
Dauer 1 Stunde 45 Minuten — keine Pause
Besetzung
Bérenger: Heiko Raulin
Jean: Sebastian Tessenow
Daisy: Sophie Stockinger
Die Frau mit Katze und Madame Papillon: Claudia Hübbecker
Der Gemüsehändler und Monsieur Botard: Thiemo Schwarz
Der Logiker und Monsieur Boeuf: Florian Lange
Die Caféinhaberin und Mademoiselle Dudard: Fnot Taddese
Der alter Herr, der Feuerwehrmann und der Kleiner Alter (Monsieur Jean): Markus Danzeisen
Die Nashörner Helia Abdollahi, Miriam Arnold, Ayla Tatu Burnaz, Fynn Gregorius, Sandra Herbrandt, Elena Hesse, Kristina Karst-El Scheich, Jasmin Krickhaus, Jamie Lay, Chiara Leonardi, Lioba Peikert, Ingo Runde, Wolf Stroetmann
Regie Selen Kara
Bühne Lydia Merkel
Kostüm Anna Maria Schories
Musik Torsten Kindermann
Licht Konstantin Sonneson
Dramaturgie David Benjamin Brückel
Choreografische Mitarbeit Takao Baba



