Die Nashörner von Eugène Ionesco erneut im Schauspielhaus

Oh – ein Nashorn, na und? Oder: Sind wir alle Nashörner?

Von Jo Achim Geschke |

Die Nashörner D Haus

Die Nashörner von Eugène Ionesco, mit Florian Lange, Heiko Raulin, Thiemo Schwarz, Sophie Stockinger, Claudia Hübbecker, Fnot Taddese/ Foto © Sandra Then/ D Haus

Es wird eine bedrückende Aktualität deutlich, wie Regisseurin Selen Kara dieses Stück inszeniert: Das Bühnenbild einfach, Hausfronten, ein Platz mit Café und Lokal, keine Effekte, keine Videoinstallationen, einfachster Aufbau mit Tischen und Stühlen, die Kostüme ältlich, nur die Frisuren etwas absurd. Aber der Inhalt von 1959, gegen die Diktatur, wird so noch beklemmender aktuell: Wie Menschen drohende Unterdrückung verharmlosen, dem Zwang unterliegen, sich anzupassen und zu verändern, sich der Masse unterzuordnen und sich aufzugeben. Bis auf einen, der sich widersetzt.

Das Stück von Eugène Ionesco wurde 1959 in Düsseldorf uraufgeführt. In der jetzigen Inszenierung unter Regisseurin Selen Kara mit einem beeindruckenden Ensemble hört man die Nashörner „bumm bumm bumm“ einher trampeln, und sie trampeln nicht nur eine Katze nieder (hervorragend wie immer Claudia Hübbecker mit Plüschkatze). Ein Streit über die Herkunft der Nashörner – asiatisch oder afrikanisch? – führt zum „Logiker“, dessen unsinnige Schlussfolgerungen Florian Lange mit dem herrlich trotteligen Markus Danzeisen schön absurd über die Bühne bringt.

Wenn Madame Papillon (Hübbecker) und Mademoiselle Dudard (Fnot Taddese, auch Café-Besitzerin) später die Anpassung aller an die  Nashörner und die Vermassung verharmlosen, sagt nur Bérenger (Heiko Raulin) „Ich habe Angst, mich zu verwandeln.“

„Gehen Sie an die frische Luft“, empfiehlt jemand, und alle wollen diese Sprache lernen, der bumm-bumm-Nashörner, nur Bérenger sagt „Das ist doch keine Sprache“.

Erschreckend modern

Man hört im eigenen Kopf deutlich, wie die „Brandmauer“ fällt. Oh, ein Nashorn, heißt es zu Beginn, und schon im zweiten Bild heißt es: Was soll schon dran sein, alles normal. Im eigenen Kopf kommen die Politikersätze auf wie „Man muss sie mit politischen Argumenten besiegen“ – das haben sie damals, 1932 ff., auch gesagt.

Gelungen ist die Einordnung der Inszenierung im wie immer empfehlenswerten Programmheft: Im Interview mit dem Juristen und ehemaligen „Handelsblatt“-Journalisten Maximilian Steinbeis verweist dieser auf aktuelle Versuche, die Nashörner, die Feinde der offenen freien Demokratie als ganz normal und harmlos darzustellen. Versuche, die ja aus einer konzertierten Strategie von Gruppen hervorgehen, die längst international vernetzt sind, von Deutschland über Österreich und die USA bis zu Geldflüssen aus Russland.

Absurdes Theater heute

Ionesco gilt als der Vertreter des „Absurden Theaters“. Er war als Autor ab 1957 Mitglied des absurden “Collège de Pataphysique“, zu dem ab 1948 Schriftsteller  wie Raymond Queneau, Boris Vian oder Künstler wie Man Ray und Filmemacher gehörten. Ionesco schrieb 1957 zunächst eine Novelle mit dem Titel „Rhinoceros“, bevor er das Theaterstück verfasste. 1959 wurde es in Düsseldorf unter Intendant Stroux uraufgeführt, für Frankreich schien es zu brisant.

Allgemeine Verunsicherung

Klimakrise, Feminismus, Konzentration von Milliardenvermögen in wenigen Händen, Gefahren durch Krieg mitten in Europa - Verunsicherungen ergreifen längst die vermeintliche Mitte der Gesellschaft – „weil es nichts gibt, woran man sich halten kann“, heißt es so treffend bei Brecht.

Im Stück wird die gefährliche Massenbewegung von fast allen verharmlost, die anderen werden ja lediglich zu Nashörnern. Nur Bérenger kann dem Zwang widerstehen, ein massiges Nashorn inmitten der Masse zu werden.

Der Muff der verspießerten Bonner Republik scheint da in der phantastischen Inszenierung von Selen Kara auf, wird zumindest den älteren Zuschauer:innen deutlich. Sich anpassen, ordentlich sein, ordentliche Haarschnitte mit messerscharfem Scheitel … das kommt ja inzwischen wieder. Wer anders ist, wird schief angesehen. Aber ohne unseren Verlust der Vielfalt und unsere Passivität wären populistische Organisationen ja gar nicht möglich.

Aber wenn denn eine rechtsextreme Partei mal 20 Prozent und mehr erreicht – muss „man“ sich ihren Nashörnern anpassen?  (Demokratisch gewählt? Die Nazis hatten in der Reichstagswahl vom 6. November 1932 mehr als 33 Prozent der Stimmen, hier in Düsseldorf auch. Hätte man damals nicht den Nashörnern, pardon, der NSDAP zugestimmt, hätte sie sogar verboten, wären Millionen Tote, der Holocaust, und unendliches Leid in der Welt vermieden worden.)

Zum Ende des Stücks erheben sich im Publikum etwa 15 ganz normale, alltäglich gekleidete Zuschauer:innen, die schon vor Beginn  im Foyer einhergingen,  und gehen nun auf die Bühne und laufen hin und her – Nashörner, aus unseren Reihen – die Bérenger völlig  ignorieren.

Langer Jubel und Applaus für das Ensemble und die Inszenierung (Besetzung siehe unten) bei der Premiere.

Weitere Termine und Karten unter

www.dhaus.de

 Dauer 1 Stunde 45 Minuten — keine Pause

Besetzung

Bérenger: Heiko Raulin

Jean: Sebastian Tessenow

Daisy: Sophie Stockinger

Die Frau mit Katze und Madame Papillon: Claudia Hübbecker

Der Gemüsehändler und Monsieur Botard: Thiemo Schwarz

Der Logiker und Monsieur Boeuf: Florian Lange

Die Caféinhaberin und Mademoiselle Dudard: Fnot Taddese

Der alter Herr, der Feuerwehrmann und der Kleiner Alter (Monsieur Jean): Markus Danzeisen

Die Nashörner Helia Abdollahi, Miriam Arnold, Ayla Tatu Burnaz, Fynn Gregorius, Sandra Herbrandt, Elena Hesse, Kristina Karst-El Scheich, Jasmin Krickhaus, Jamie Lay, Chiara Leonardi, Lioba Peikert, Ingo Runde, Wolf Stroetmann

Regie Selen Kara

Bühne Lydia Merkel

Kostüm Anna Maria Schories

Musik Torsten Kindermann

Licht Konstantin Sonneson

Dramaturgie David Benjamin Brückel

Choreografische Mitarbeit Takao Baba