Schauspielhaus Premiere „Unterwerfung“ von Houellebecq

Schauspielhaus „Unterwerfung“ : Wenn Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit allen egal sind

Von Jo Achim Geschke |

Christian Erdmann in „Unterwerfung“ / Foto David Baltzer Schauspielhaus

François, der Ich-Erzähler auch auf der Bühne, ist ein für Houellebecq typisch narzistischer „Anti-Held“: Gefühlsschwach, mit Bindungsängsten, Egozentrisch, unfähig zu Nähe … Christian Erdmann als François zeigt in grüner (?), grauer (?) Cordhose und Joppe eben dies: Egoismus, Selbstbezogenheit statt Widerstand und Auseinandersetzung mit den Rechtsradikalen der Front National, mit radikalen Änderungen durch rückwärtsgewandte Muslime in der Gesellschaft, und Desinteresse gegenüber den Werten von „Liberté, Égalité, Fraternité“.

Im Bühnenbild steht das Wort „Fraternité“ mit einzelnen Buchstaben im Vordergrund, und die Schauspieler verändern das Wort, indem sie die Klötze umbauen. So erscheint einmal NICÉ – Nizza auf der Bühne, schließlich wird die Brüderlichkeit umgekehrt in „Sécurité“, Sicherheit. Gegen Ende werden die Buchstaben der Brüderlichkeit ganz fortgeräumt. Im Hintergrund bleiben die plakativen Schriftzeichen Liberté, Égalité – aber auch sie haben sich verändert, sind auseinander gerissen.

Der junge, mehrfach ausgezeichnete Regisseur Malte C. Lachmann, gerade 27 Jahre jung, hat es gewagt, den 271-Seiten Roman „Unterwerfung“ des französischen Autors Michelle Houellebecq auf die Bühne zu bringen. Was wäre Theater, wenn es nichts wagt – und wenn es nicht den Dialog, den Diskurs in der Gesellschaft abregt und befördert. Schließlich ist das auch eines der Themen des neuen Intendanten Wilfried Schulz. “Unterwerfung“ wurde übrigens bereits im März 2016 in Dresden aufgeführt.

François, von eben jenem Houellebecq‘schen Desinteresse getrieben, hat nur Interesse am Schriftsteller aus der Decadans, Joris Huysmans. Und an Sex mit jungen Studentinnen.

Im Frankreich des Jahrs 2022 gab es nach den Präsidentenwahlen eine Mehrheit von 34 % für die Front National und Marine LePen. Um Sie zu verhindern, bilden die Sozialisten und Republikaner (12 %) ein Bündnis mit der Muslimbrüderschaft in Frankreich- die 22% erhielt. Während auf den Straßen nach den hohen Gewinnen der FN mit Marine LePen und der Koalition mit den Muslimbrüdern Protest, Tränengas, brennende Reifen und Polizei mit Schlagstöcken herrschen, beschäftigen sich François und die Männer von der Uni mit ihrer Akademischen Karriere und Schein-Diskussionen. Mohammed Ben Abbes wird Präsident. Und verändert mit viel Geschick die Gesellschaft hin zu einem konservativen, populistischen Islam. Die Dozenten werden, so sie nicht zum Islam wechseln, entlassen. Und ähnlich wie die rechtspopulistische FN sollen Frauen an den Herd, nur ausnahmsweise studieren, in den Straßen beherrschen Kopftuch lange Hosen das Bild. Die Parallele zur AfD und deren Forderungen werden erschreckend deutlich.

Zum Schluss bietet ihm die Universität der Saudis in Paris, der ehemaligen Sorbonne, doch noch einen Dozentenposten, und Francois nimmt ihn an. Saudi-Arabien, erfahren wir, hat die Sorbonne gekauft, weil Oxford schon weg war – von Quatar gekauft. Und so wechselt François zum Islam. Es ist eindeutig ein konservativer, saudisch geprägter Islam. Was den Antihelden aber nicht stört. Und im Hintergrund verändern sich glitzernde Sternbilder zu arabischen Schriftzeichen ...

François Liebe zur jungen Jüdin Miriam ist eine Macho-Liebe mit Bindungsangst, eher von Sex als von Gefühlen gelenkt. Der Mann mit der narzistischen Störung ist kaum zur Liebe fähig. Der Geschlechtsakt auf der Bühne wird in Houellebecqscher Manier – nach dem Text des Buches – dargestellt. Einen Geschlechtsakt so detailliert in harten Worten zu beschrieben auf der Bühne, überfordert vielleicht manch bürgerliches Publikum. Aber es ist der Text von Houellebecq, er ist bekannt für diese Schilderungen. Was in Romanen geschrieben wird, kann im Theater ja nicht ausgeblendet werden. Es verlangt aber vom Zuschauer schon, sich vom derben Vokabular zu lösen, um die böse Darstellung einer gleichgültigen, egomanischen Männergesellschaft des „Westens“ aufzunehmen.

Das Bühnenbild von Ursula Geisböck schafft, neben der wirksamen Veränderungen des Worts „Fraternité“, sehr aktuelle Bezüge : Videos von den Protesten auf Frankreichs Straße – aus Nachrichtensendungen im Fernsehen stammend – sowie Auftritte von Marine LePen sind an sich schon aktuell. Sie werden aber nicht als TV-Videos, sondern erkennbar als Videos auf dem Smartphone auf das Bühnenbild projiziert.

Christian Erdmann bringt den gestörten François eindringlich auf die Bühne. Sehr realitätsnah Lorenz Nufer als der etwas verlotterte Herausgeber der Pléiaden ebenso wie den spießigen Alain, und Ben Daniel Jöhnk den etwas schmierigen, auf bestem Wein bestehenden und konvertierten Rediger mit einer15-jährigen Ehefrau. Hervorragend Yohanna Schwertfeger, die überzeugend zwischen den Rollen der jungen Myriam und der Gattin wechselt und schließlich als kochende Hausfrau dasteht.

Der Dramatisierung hätte es aber vielleicht gut getan, zu Beginn den originalen Romantext zu straffen und auch die Klosterszene mit Huysmans Hinwendung zum Katholizismus. Die Beziehung François zum Schriftsteller Joris-Karl Huysman wird eigentlich schon zu Beginn des Stücks deutlich genug.

Empfohlen sei hier außerdem nachdrücklich das Gespräch mit einer Imamin (eines weiblichen Imams !) mit der Dramaturgin Janine Ortiz im Programmheft zur Aufführung. Es macht alle Versuche, aus dem Stück ein Vorurteil gegen den Islam insgesamt zu konstruieren, zunichte.

(Text Jo Achim Geschke)

Karten und weitere Infos unter www.dhaus.de