Ich kämpfe, um diesem toten, vergewaltigten, gefolterten und ermordeten jungen Mädchen ein Gesicht zu geben. In der Hoffnung, dass es aufhört.

"Sieben Winter in Teheran" im Kino: Ein Dokumentarfilm über Reyhaneh Jabbari. Ein Film über Angst, Hoffnung, Emanzipation und Tod.

Von Alexandra Scholz-Marcovich |

Angeklagte Reyhaneh Jabbari 2008 vor Gericht - Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm "Sieben Winter in Teheran" © Made in Germany

Angeklagte Reyhaneh Jabbari 2008 vor Gericht - Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm "Sieben Winter in Teheran" © Made in Germany

Kann man einen Dokumentarfilm über eine iranische Frau drehen, die ein Opfer der Mullahs ist, ohne iranisch zu sprechen und ohne jemals in Teheran oder im Land gewesen zu sein?

Die Antwort lautet: Ja. Steffi Niederzoll hat es getan. Und es ist erschütternd. Die deutsche Regisseurin blickt auf einen Fall zurück, der vor mehr als 15 Jahren im Iran und im Ausland eine Schockwelle auslöste. Im Jahr 2009 wurde Reyhaneh Jabbari, eine junge Iranerin, zum Tode verurteilt, nachdem sie einen Mann erstochen hatte, der sie vergewaltigen wollte. Die Szenen im Gefängnis wurden anhand von Reyhnanehs Briefen nachgestellt, da es natürlich nicht möglich ist, in iranischen Gefängnissen zu filmen.

Nach der rosaroten Welle von Barbie und ihrem Plastikfeminismus kommt nun ein Film in die Kinos, der von einem authentischen, echten Kampf für Frauenrechte erzählt. Der Film spielt nicht in einem imaginären Land, sondern im Iran, einem wunderschönen Land, das den Mullahs und dem Gesetz der Scharia überlassen wurde, ein Land, das seine Frauen tötet.

"Sie sehen eine Frau, die ständig eine Maske trägt.
Hinter dieser Maske befindet sich eine Frau mit einem gebrochenen, zerstörten Herzen.
Ich bin nicht stark, ich tue es, weil ich es muss.
Ich hasse diesen Vergewaltiger, der nicht nur meine Tochter getötet, sondern auch seinen Sohn seelisch kaputt gemacht hat. Beide Familien sind zerstört.
Die Mullahs sind gefährlich, wir müssen die westlichen Demokratien vor diesem Terrorregime warnen. Ich bin schockiert, dass ich als Flüchtling in Deutschland lebe, demselben Land, das die Richter meiner Tochter offen aufnimmt. Sie besuchen Berlin und ich sehe sie beim Friseur. Das muss aufhören. Sie müssen erkannt und verhaftet werden. Sie müssen durch Gerechtigkeit und nicht durch Barbarei oder Folter gerichtet werden.

Ich habe nicht verziehen. Meine Tochter hat mich gebeten, es zu tun, um Frieden zu finden. Seit acht Jahren versuche ich jeden Tag, ihnen zu vergeben. Es gelingt mir nicht.

Seit zwei Monaten erleben 200 Familien das Gleiche wie ich. Den Verlust eines geliebten Menschen. Getötet durch Erhängen. All diese Mütter sehe ich mit zerfetzten Herzen.
Ich kämpfe, um diesen toten, vergewaltigten, gefolterten und ermordeten jungen Mädchen ein Gesicht zu geben. In der Hoffnung, dass es aufhört.

Dieser Film ist dazu da, den Opfern einen Namen zu geben. Um zu zeigen, was diese Mullahs tun, wie hinter jeder hingerichteten Frau eine zerstörte Familie steht.

Dieser Film ist dazu da, um zu zeigen, wie ihr hier in Deutschland, im Westen Druck auf eure Regierungen ausüben könnt, damit diese Tyrannei aufhört."

Shole Pakravan, die Mutter von Reyhaneh Jabbari, am 9. Juni im Filmforum NRW bei der Vorführung des Films.

Am Freitagabend (09.06.2023) zeigte das Filmforum NRW in Köln den Film "Sieben Winter in Teheran" im Rahmen des iranischen Filmfestivals in Köln "visions of iran". Es ist ein Dokumentarfilm, der die Geschichte der jungen Iranerin Reyhaneh Jabbari nachzeichnet, die 2014 zum Tod durch Erhängen verurteilt wurde. Der Film, bei dem Steffi Niederzoll Regie führte, wurde im März 2023 auf der Berlinale uraufgeführt.

Der Abend begann musikalisch mit Vahid Silent, einem jungen iranischen Rapper. Auf der Bühne reiht er einen Titel auf Farsi an den anderen, nur einer wird uns ins Deutsche übersetzt. Nach seinem Auftritt wird er interviewt und erzählt von der Verfolgung von Künstlern im Iran, wo das Rappen schlichtweg verboten ist.

Der Film beginnt. Er findet in Teheran statt. Zusammengesetzt aus Privatvideos der Familie, rekonstruiert der Dokumentarfilm Reyhanehs tragische Geschichte.

Reyhaneh ist ein glückliches 19-jähriges Mädchen, das mit ihren zwei jüngeren Schwestern und ihren Eltern in einem behüteten und liebevollen Umfeld lebt. Wir lernen sie als Kind kennen, wie sie mit ihren Schwestern spielt und mit ihrem Vater lacht. Diese intimen Momente erscheinen fast banal. Es sind Momente der Normalität, der Unbeschwertheit.

Reyhaneh ist Informatikstudentin und arbeitet halbtags als Innenarchitektin, als sie 2007 von Dr. Morteza Sarbandi (einem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter) wegen eines Geschäftstermins kontaktiert wird.

An diesem Tag ändert sich Reyhanehs Leben schlagartig. Sarbandi versucht, sie zu vergewaltigen. Um sich zu verteidigen, sticht sie ihn mit einem Messer nieder, was für ihn tödlich endet - und am Ende, sieben Winter danach, auch für sie.

Von da an nimmt alles seinen Lauf. Die Verhaftung. Die Gewalt. Die Lügen der Polizei. Die Drohungen. Die Folter. Der meisten ihrer Rechte beraubt, wird sie zum Tode verurteilt.

Das Gesetz des Regimes kann die Verurteilung nur stoppen, wenn die Familie des Opfers ihre Vergebung gewährt. Das tut sie aber nie.

Reyhaneh überlebt 7,5 Jahre im Gefängnis dank der Hilfe ihrer Mitgefangenen, teils Junkies und Zwangsprostituierte. Frauen, die wie sie, die Opfer des archaischen Mullah-Regimes sind.

7 Jahre lang kämpft sie für Gerechtigkeit.

Sie schreibt Briefe und ein 1.000 Seiten langes Tagebuch.

Sie begann im Gefängnis, Texte über die systematische Unterdrückung von Frauen durch das islamische Recht zu schreiben, die sie über ihre Mutter Shole veröffentlichte. Sie setzte sich unermüdlich für die Verbesserung der Haftbedingungen ihrer Mitgefangenen ein, bis sie am 25. Oktober 2014 im Gefängnis Rajai Shahr hingerichtet wurde.

„Was sollen die Frauen tun? Wenn sie sich vergewaltigen lassen, sind sie schuldig. Wenn sie sich wehren und selbst verteidigen, sind sie schuldig. Wenn sie dagegen demonstrieren, sind sie schuldig. Also sollten die Mädchen sterben?

Solange ich am Leben bin, auch wenn mein Handeln so lächerlich aussehen mag wie ein Brunnen, der versucht, den Himmel zu erreichen, werde ich nicht aufhören, gegen diese Ungerechtigkeit zu kämpfen.“

Reyhaneh Jabbari, Auszug aus dem von ihrer Mutter veröffentlichten Buch: "Wie man ein Schmetterling wird"

Die Erzählerstimme der iranischen Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi beleuchtet die Lebensbedingungen im Gefängnis und analysiert die Situation der Frauen unter dem Regime der Tyrannen.

Um den Film mit echten Bildern aus dem Iran zu produzieren, arbeitete Steffi Niederzoll mit Zebra Kropp, einer lokalen Produktionsfirma zusammen und erhielt Zugang zu den Archiven eines iranischen Kollektivs. Allerdings fehlten einige Schlüsselorte in Reyhanehs Geschichte, wie z. B. das Außengelände des Gefängnisses und das Haus des Überfalls. Diese Orte zu filmen war gefährlich, aber das Risiko wurde von den Filmemachern im Iran eingegangen, da sie davon überzeugt waren, dass die Geschichte von Reyhaneh unter keinen Umständen in Vergessenheit geraten sollte.

Der Dokumentarfilm porträtiert auch die Mutter von Reyhaneh, Shole, eine mutige Kämpferin, die den Autoritäten des Regimes immer wieder zu trotzen versucht. Shole nimmt während der Inhaftierung ihrer Tochter immer wieder Kontakt mit dem ältesten Sohn der Familie des Vergewaltigers auf, um ihn davon zu überzeugen, ihre Tochter zu retten. Ohne Erfolg.

Die Geschichte von Reyhaneh macht in sozialen Netzwerken und im Fernsehen die Runde. International fordern Politiker Freiheit für Reyhaneh. Das Ende kennen wir.

Reyhaneh wird am 25. Oktober 2014 durch Erhängen hingerichtet.

So viel zu den Fakten.

Was die Emotionen betrifft, die der Film bei den Zuschauerinnen und Zuschauern im Saal auslöst gibt es kaum Worte, die stark genug sind, um diese wiederzugeben. Man muss diesen Film sehen, um das Leid und die Verzweiflung der Mutter, der Schwestern und des Vaters zu verstehen. Eine gebrochene, vom Regime zerstörte Familie.

Der Film lebt von den authentischen und ergreifenden Aufnahmen der Familienmitglieder während der Inhaftierung. Diese wurden von der Familie selbst aufgenommen. Warum? Weil die Familie für sich selbst damit die Hoffnung auf Vergebung und die Freilassung aufrechterhielt. Die Bilder sollten Reyhaneh bei ihrer Freilassung gezeigt werden, damit sie den Kampf sehen können würde, der von Ihrer Familie geführt wurde. Sie sollte spüren und sehen, wie sehr sie geliebt wurde.

Es ist ihr Vater, Fereydoon Jabbari, der nach der Hinrichtung den toten Körper seiner Tochter im Gefängnis bergen wird. Mit trauerverzerrtem Gesicht erklärt er, dass er sie als sehr schön und in sich selbst ruhend empfunden habe.

Der Film endet, viele Menschen im Saal weinen. Es dauert, bis die bedrückende Stimmung sich in eine nachdenkliche wandelt.

Die Regisseurin betritt die Bühne, dann ist Shole Pakravan an der Reihe. Es gibt einen langanhaltenden Applaus, viele stehen auf um ihren Respekt zu zeigen, gegenüber Reyhaneh und dem Mut ihrer Mutter, der Frau, die ihren Kampf gegen das Mullah-Regime von Berlin aus fortsetzt, wohin sie mit ihren Töchtern geflohen ist.

Fereydoon Jabbari, Reyhanehls Vater, ist nun das einzige Familienmitglied, das den Iran nicht verlassen darf, da ihm ein Reisepass verweigert wird. Trotz der damit verbundenen Risiken wollte er (online, um das Filmteam zu schützen) für seine Tochter Reyhaneh und für alle Frauen in einer ähnlichen Situation wie seine Tochter aussagen.

Der anschliessende Austausch zwischen den Akteuren auf der Bühne und dem Publikum, teils auf Farsi, wird für die zahlreich erschienenen deutschen Zuschauer übersetzt.

Die Regisseurin Steffi Niederzollerzählt, warum sie, die kein Iranisch spricht und noch nie in Teheran war, von Shole die Verantwortung übertragen bekam, der Welt Reyhanehs Geschichte zu erzählen.

"2016 lernte ich über einen iranischen Freund Sholes Cousin und seine Frau in Istanbul kennen. Sie versuchten, Videos zu retten, die heimlich gefilmt worden waren und mit dem Fall Reyhaneh in Verbindung standen. Eines dieser Videos bewegte mich besonders: Es zeigte Shole, wie sie in einem Auto vor dem Gefängnis saß und darauf wartete, ob ihre Tochter begnadigt oder hingerichtet würde. Dieser Moment, voller Hoffnung und Angst hinterließ einen bleibenden Eindruck.

Kurz darauf konnte ich Shole, Reyhanehs Mutter, treffen, die mit ihrer jüngsten Tochter gerade erst in die Türkei gekommen war. Diese erste Begegnung war seltsam. Sie kam mir sehr vertraut vor, da ich sie in den Videos dramatische und persönliche Momente hatte durchleben sehen. Aber für sie war ich eine Fremde. Das sagte ich ihr. Sie schaute mich an, prüfte mich, dann lächelte sie und nahm mich in den Arm. Wir tranken Tee und sahen uns die Fotos aus ihrer Kindheit an. In diesem Moment wusste ich, dass ich diesen Film machen wollte, dass ich diesen Film machen musste. Wir wurden Freundinnen.

Im Jahr 2017 begann das Projekt, zunächst im Geheimen, um die beteiligten Personen zu schützen. Die Realisierung erfolgte in mehreren Abschnitten mit längeren Pausen, auch um den Inhalt der Bilder und Texte emotional verarbeiten zu können."

Schließlich spricht Reyhanehs Mutter Shole auf Farsi. Parallel zum Film hat sie zusammen mit Steffi Niederzoll das Buch "Wie man ein Schmetterling wird" über die Geschichte ihrer Tochter geschrieben.

Ihre Geschichte ist die leider alltägliche Geschichte, die viele Familien im Iran erleben. Sie symbolisiert die Tragödie der Verfolgung von Iranerinnen.

Sie sagt: "Ich bin nicht stark, ich habe keine Wahl, ich muss es tun, ich muss sprechen, um die Demokratien angesichts dieser Tyrannen aufzuwecken".

Sieben Winter in Teheran
Ein Film von : Steffi Niederzoll
Genre: Dokumentarfilm
Laufzeit: 97 Min.
Land: Deutschland, Frankreich
Sprache: Farsi
Produktion: Made in Germany Filmproduktion, Gloria Films, TS Production

Auszeichnungen
73. BERLINALE, Bester Film, Kompass-Perspektive-Preis - 2023
73. BERLINALE, Friedensfilmpreis - 2023