GRM Brainfuck von Sibylle Berg

Von Überwachung, Anpassung und vielleicht Rebellion – GRM Brainfuck von Sibylle Berg

Von Jo Achim Geschke |

GRM Brainfuck

GRM Brainfuck, Jugendliche vor dem Werbebildschirm / Foto Krafft Angerer, D Haus

„Ist das Eurer Ernst? …Dieser Haufen Dreck, den ihr hier hingeschmissen habt? …Hat uns irgendeiner gefragt? Hat uns irgendeiner gebeten, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, nach Regeln, die nicht unsere sind? … Wir warten nicht mehr auf Liebe und dass da so etwas wie eine Zukunft vor der Haustür wächst. Da würde nichts mehr wachsen, da war Wüste, von den Alten hinterlassen….“ So formuliert in schnellem Rap eine junge Frau, nicht von der braven Friday for Future, auch nicht von Extinction Rebellion: Es ist Sibylle Bergs „GRM Brainfuck“, ein außergewöhnlich aktuelles, hervorragend inszeniertes Stück auf der Bühne im Schauspielhaus am Samstag in dem damit leider endenden „Theater der Welt“.

 GRM oder Grime ist ein junger, explosiver Musikstil aus den östlichen Vororten Londons, schnelle harte und düstere, dunkle  Beats der Drums und dazu schrille Hi-Hats zu Raps junger Menschen, die nicht zu den privilegierten des Kapitalismus gehören. Autorin Sibylle Berg in einem Interview: : „….Dass Grime so einen fundamentalen Einfluss auf die britische Jugendkultur hat, wurde mir erst bei meinen Aufenthalten in UK klar. Es ist – wie Hiphop meist – die Musik, die Außenseiter und schlechter privilegierte Menschen mit einander verbindet. Also war es passend für mich, den schnellen Beat von Grime als Taktgeber für ein Buch über genau die Jugendlichen zu verwenden, um die es in der Geschichte und der Musik geht.“

Das neue Jahrtausend beginnt, verkünden zwei angepasste, immer lächelnde Spießer, das Netz wuchs, Facebook wuchs, es gab „immer mehr gut vernetzte Deppen“, verkünden eine Frau und  ein Mann, mit obskuren Frisuren der rötlich gefärbten Haare. Und plötzlich werden Frauen Richterinnen, Pilotinnen, Polizistinnen, die Männer begreifens nicht, die Welt war schon früher immer unbehaglich, aber jetzt  drehen die Männer durch, es gibt immer mehr rechtsradikale Idiotenhaufen, beschreibt die Spiegel-Kolumnistin Sibylle Berg treffend, und „Willkommen zu Hause“ lächeln falsch wie immer Spießer-Frau und Spießer-Mann.

Alles läuft über einen riesigen Werbe-Bildschirm auf der Bühne, die kleinere Ausgabe von Piccadilly Circus. Da stehen sie nun, die jungen Leute, die sich das anschauen.

Die Jetzt-Zeit, wo mit den Mitteln der Demokratie die Demokratie abgeschafft werden soll. Das „erleichtert die Finanzsysteme“, der „Rest plagt sich mit Online-Reservierungen“, heißt es. Sibylle Berg beschriebt gewohnt ätzend und analytisch scharf die „Zeit der akuten Wohnungsnot“ in den Städten und der immer härter werdenden Armut.

Auftritt der Jugendlichen. Die „diese Veranstaltung, die nicht unsere ist“, nicht mitmachen.

„Das Leben ist ein Geschenk“, flöten die angepassten mit den komischen Frisuren.

Der harte Rap und Beat des Grime wird womöglich härter, als die Angepassten verkünden, dass das Grundeinkommen eingeführt wird, wer sich registriert, bekommt „Kohle“, alle rennen los. Außer den Jugendlichen. Und dann beginnt, was in China schon Realität war: Wer sich nicht nett verhält, wer falsch parkt, den Müll auf die Straße wirft, bekommt Punkteabzug, bekommt weniger Geld, verliert seine Arbeit, seine Wohnung …

Die Jugendlichen des „Grime“ verweigern sich dem neoliberalen Verwertungskonzept, der alltäglichen Überwachung, die durch die digitalen Möglichkeiten längst möglich ist: Autos geben selbstständig Daten weiter, der vermeintlich öffentliche Raum wird durch Kameras mit Gesichtserkennung überwacht … .

Die beiden angepassten Spießer waren nicht nett, hatten Punkteabzug, haben die Arbeit und dann die Wohnung verloren. „Uns geht es gut“, flöten sie weiter lächelnd.  

Alle sechs junge Schauspieler:innen vom Thalia-Theater (Hamburg) sprechen unisono im Chor, und tanzen über die schwarze, schmucklose Bühne unter dem Werbe-Bildschirm, dass Hip-Hopper neidisch werden müssen. Sie verweigern sich dem Überwachungs- und Anpassungs-Staat. „Ihr wollt Krieg? Ihr bekommt Krieg!“, heißt es schließlich tanzend und unisono als Auftakt einer Revolte – zumindest auf der Bühne.

Sibylle Berg hat ein Stück geschrieben, in der Regie von Sebastian Nübling, dass sowohl neoliberalen Winchester-Kapitalismus treffend beschreibt wie die Revolte der Jugend in dem Musikstil des Ost-Londoner Grime und dem Protest der Jugend- und Erwachsenengruppen gegen die Apathie der Politik gegenüber dem Klimawandel.

Der Schluss ist für Sibylle Berg typisch: Nach sechs Jahren … Zwei, drei  der irwisch-artig tanzenden  Jugendlichen kommen plötzlich in einem farbig abgestimmten Anzug daher, anders als der Einheitslook zu Beginn, aber Anzug …

Langer, langer Jubel und viele „Vorhänge“ vom mehrheitlich jungen Publikum.

Die jungen Darsteller:innen und die Angepassten sind Shah-Mo Dayrouiche, Johannes Hegemann, Maike Knirsch, Meryrem Öz, Tim Porath, Lukas Schätzke, Gabriela Maria Schmeide, Anna Michelle Tehua, Francesca Waehneldt,. Choreographie Franklyn Kakyire und Marlen Gollubits.

Am 10. September erfolgt die Premiere im Hamburger Thalia-Theater.

Die Musik

Die Musik kommt von „Ruff Sqwad Arts Foundaation“ , Akteure und Singer/Songwriter  sind 15 bis 19 Jahre alt. The  „Ruff Sqwad Arts Foundation“ veranstaltet seit 2014 regelmäßig Sessions mit einer Kerntruppe von 30 – 35 Leuten zwischen 11 bis 19 Jahren Sesssons und gründete im Mai 2017  die gemeinnützige RSAF, um junge Menschen bei der Entwicklung  ihrer Kreativität zu unterstützen.

Theater der Welt  weiter in Frankfurt und Offenbach

Theater der Welt ist ein alle zwei Jahre laufendes Festival in verschiedenen Städten. Es hat trotz Corona sogar stattfinden können. Und es  hat phantastische neue Inszenierungen nach Düsseldorf gebracht. Es wird 2023 weiter gehen in Frankfurt, der Staffelstab ging am gestrigen Samstag nach Frankfurt und Offenbach. Dort wurde im Sinne eines internationalen Theaters die  Festival-Leitung ausgeschrieben.  Die neuen Köpfe des Theater der Welt 2023 kommen aus Japan, es sind zwei Theatermacherinnen aus Tokyo.