Büchners Woyzeck als multimediales beeindruckendes Theater im Schauspielhaus

Woyzeck, multimedial - gelungen

Von Jo Achim Geschke |

Woyzeck DHaus Ensemble

Woyzeck, Ensemble / Foto © Thomas Rabsch D Haus

In dieser Wohnküche, diesem Sinnbild ärmlicher Sehnsucht nach bürgerlicher Normalität, sticht Woyzeck wie von Sinnen auf Marie ein. Dem Publikum wird einer der wohl berühmtesten Theater-Morde als schnelles Video gezeigt. Wie auch Regisseurin Luise Voigt in der Inszenierung Videos und Butoh-Tanz durchgängig mit der Darstellung der hervorragenden Schauspieler:innen vereint. Diese Aufführung hebt multimedial das hervor, was Büchner erst recht im „Hessischen Landboten“ herausstellt: Es geht um „fehlende soziale Gerechtigkeit und darum, dass eine solche Welt Monster erschafft“, wie Regisseurin Luise Voigt im Interview sagt.

Luise Vogt betont: „Es geht nicht um gute oder böse Menschen, es geht um Verhältnisse.“

Und die stellt sie dar auch mit Hilfe der Choreographin Minako Seki und dem japanischen Butoh-Tanz: Grandios die Eingangsszene von Yascha Finn Nolting als Doktor, der mit diesem Tanz, dieser Pantomime schon auf seine fragwürdigen Experimente mit Woyzeck hinweist: Ständig Erbsenbrei zu essen.  Büchner hatte dabei ein reales Vorbild, neben der Fragwürdigkeit von Experimenten mit Menschen: Der Wissenschaftler Justus von Liebig hatte Soldaten längere Zeit nur mit Erbsenbrei ernährt, weil das für ein Heer ja billiger ist. Die Soldaten bekamen Halluzinationen und wurden krank.  Büchner hatte eine zeitlang  bei Liebig studiert, bevor er 1836 mit dem Woyzeck begann. Der Doktor zeigt seine Sicht des „Soldaten“ und des Menschen, er verachtet den Woyzeck (Sebastian Tessenow).

Die Videos

Immer wieder kehrt die Videokamera in die Wohnküche zurück, wo Marie von Woyzeck Geld bekommt, dass er beim Rasieren des Hauptmanns verdient hat. In der Küche spielen Marie (beeindruckend: Cathleen Baumann) und ihre Tochter Karten mit der Großmutter, sitzen in ihrer Illusion. Hier geht die Kamera nah heran an Marie, an die Tochter. Und auch nah an Woyzeck, der die Ohrringe an Marie entdeckt, die vom Tambourmajor stammen, und die sein Misstrauen wecken. Regisseurin Vogt will den Theaterraum so an den Zuschauer heranbringen.

„Beim Einsatz von Video geht es mir vor allem um Nähe und ums Leise-sein-können, um Intimität“, so Voigt im Interview mit Dramaturg Robert Koall.

Die Tochter

Diese Tochter hat die Regisseurin Voigt eingefügt, in Büchners Fragmenten hat Marie mit Woyzeck ein kleines Baby. Die Tochter (Carolin Cousin), mit tiefen Ringen unter den Augen, beobachtet das Geschehen, ohne ein Wort zu sagen. Cousin ist eine gute Besetzung, sie hat diesen Blick, diese Augen, die zutiefst eindringlich fragen und beobachten. Diese Tochter verweist auf die Zukunft. Auch sie wird von der Videokamera begleitet, beim Schlittschuhlaufen auf dem Weihnachtsmarkt, beim Gang durch die weihnachtliche Altstadt, auch das eine Idylle, die im Video aufgelöst wird durch körnige, teils verwaschene Bilder. Bis hin zu ihrem Schrei des Entsetzens, als sie die erstochene Mutter entdeckt. Ein Schrei, der ebenso der geahnten, der düsteren Zukunft gelten kann.

Der Raum

Woyzeck, der Doktor, der Hauptmann und der Tambourmajor, der Marie ein besseres Leben verspricht, agieren in und auf einem hoffnungslos grauem Kubus (Bühne Natascha von Steiger) . In ihm liegt die vermeintlich idyllische, ärmliche Küche, in der Woyzeck auch seinen Erbsenbrei löffelt.  Auf ihm lässt sich der Hauptmann (Thimo Schwarz) von Woyzeck rasieren und verspotten. In der Küche geht die Videokamera nah ran, der Raum im Raum wird durch die Nahaufnahmen intimer. Regisseurin Voigt hat so im fragmentarischen Drama auch den Raum fragmentiert. Bis hin zum gemeinsamen Gang über die Bühne von Marie, Tochter und Großmutter, die nicht zusammen gehen, sondern mit Abstand, allein, vereinzelt.  

Sebastian Tessenow als Woyzeck ist das personifizierte – nein, nicht das Böse, das zusticht: Er ist das herumgeschubste, unterdrückte, immer kaputter und wahnsinniger werdende Elend. Der schließlich aus der Eifersucht heraus, aber auch aus seiner Machtlosigkeit heraus im irren Rausch zusticht.

Warum die Szene mit der Tochter bis zum Mord gegen Ende minutenlang nochmals rückwärts läuft, das Schreckliche nochmals zurückdreht, aufhebt, bis zum Schrei der Tochter, erschließt sich allerdings nicht sofort.

Die Inszenierung verlangt einige Aufmerksamkeit von den Zuschauer:innen, aber wer sich darauf einlässt, sich hineinbegibt in die Bühne, erlebt einen spannenden, hoch interessanten Woyzeck.

Regisseurin Voigt (Jahrgang 1985) ist bekannt für ihre multimedialen Inszenierungen, für manche Zuschauer:innen war es womöglich etwas zu viel Video. Voigt wird noch weitere Inszenierungen in Düsseldorf auf die Bühne bringen, das kann spannend werden.

Viel Applaus für die ausgezeichneten Schauspieler:innen und die Inszenierung.

Weitere Termine und Kartenbestellungen auf der - neu gestalteten Website - unter

www.dhaus.de

Besetzung:

Woyzeck: Sebastian Tessenow

Marie: Cathleen Baumann

Ihre Tochter:  Caroline Cousin

Hauptmann : Thiemo Schwarz

Doktor:  Yascha Finn Nolting

Tambourmajor: Florian Lange

Andres:  Markus Danzeisen

Großmutter:  Manuela Alphons

Regie Luise Voigt

Choreografie Minako Seki

Bühne Natascha von Steiger

Kostüm Maria Strauch

Musik Friederike Bernhardt

Video Stefan Bischoff

Licht Jean-Mario Bessière

Dramaturgie Robert Koall