„die unverheiratete“ von Ewald Palmetshofer im Schauspielhaus Düsseldorf

„die unverheiratete“ oder das vererbte Trauma durch verdrängte Schuld

Von Jo Achim Geschke |

"die unverheiratete" im D haus

„die_unverheiratete“ mit- Claudia Hübbecker, Traute Hoess, Pauline Kästner / Foto © Sandra Then D Haus

Sieben Frauen auf einer Bühne, die mal durch verschlossene riesige Türen oder durch grünspanige Bretterwände unterteilt sind, sieben Frauen, die unter der Regie von Andreas Kriegenburg eine Schuld von 1945 bis in die dritte Generation mit sich tragen. Und die hervorragenden Schauspielerinnen zeigen im geradezu Tragödien-haften Schauspiel, wohin es führt, wenn Schuld und Verantwortung verdrängt, wenn sie nicht aufgearbeitet worden sind. Ein anspruchsvolles Stück vom mehrfach ausgezeichneten Autor Ewald Palmetshofer, das jetzt im Schauspielhaus gefeierte Premiere hatte, trotz seiner Länge.

Die drei Frauen: „die Junge“ (ausgezeichnet Pauline Kästner), „Die Mittlere“ (Claudia Hübbecker), und „die Alte“ (herausragend Traute Hoess) - versuchen, mit einer Schuld umzugehen, die die Älteste 1945 auf sich lud. Die Identitäten der drei Frauen sind zunächst nicht mit Namen benannt, die erfährt das Publikum beiläufig später. Es sind Oma, deren Tochter und die Junge, die Enkelin. Die Oma liegt in einem Bett im Krankenhaus, umgeben von riesigen weißen Türen oder auch Bretterverschlägen, die ihre Vergangenheit andeuten. Sie hat damals einen jungen Soldaten in ihrem Dorf belauscht und ihn bei der Obrigkeit angezeigt, weil er desertieren wollte.

Der Fall hat eine reales Vorbild, das Autor Ewald Palmetshofers weitreichend recherchiert hat. Die Oma hat also den Soldaten angezeigt, der daraufhin von einem Standgericht verurteilt und gleich noch kurz vor Kriegsende vor einem Baum erschossen wurde. (In Düsseldorf gab es etwas ähnliches, der 72-jährige Jude Moritz Sommer wurde wenige Tage vor Kriegsende denunziert und am Oberbilker Markt aufgehängt.)

Die Denunziantin wird vor einem Gericht nach 45 verurteilt und muss ins Gefängnis.

Die Erinnyen

Die vier „Schwestern“ (begeisternd:  Anya Fischer, Friederike Ott, Janina Sachau, Fnot Taddese) spielen im Stück  auch diesen Prozess nach, mit verteilten Rollen. Aber sie erinnern mit ihrem hohen Summen und ihrer Anklage auch an die Erinnyen, „die Rasenden“, der griechischen Tragödie.

Während die vier Schwestern in der Rückblende die anderen Mitgefangenen darstellen, die auch zu Gewalt  und zu einer Vergewaltigung der Verurteilten fähig sind, spielt „Die Junge“ Pauline Kästner auch die damalige Verurteilte im Knast.

Im Verhältnis der drei Hauptdarstellerinnen hat die „Junge“ aber zunächst keine Ahnung von der damaligen Tat der Oma.

Die „Alte“ aber liegt nun im Krankenhaus und schreit herum. Traute Hoess spielt diese unsympathische Alte zeternd und fordernd und vor allem : Völlig uneinsichtig und von sich überzeugt. Sie habe ja nichts Unrechtes getan, das waren damals die Gesetze, so musste sie vor der Obrigkeit im Dorf ja handeln.

Damals nach der Entlassung hat sie geheiratet, aber der Mann war ja schnell weg, gestorben. So sagt sie es der Enkelin.

Die Junge und das Kant-Jahr

„Die Junge“ erzählt distanziert von ihren Liebhabern,  sie hat nicht wirklich ein Verhältnis zu denen.  Ebenso wenig wie zu ihrer Mutter, zwischen ihnen steht unausgesprochen und verdrängt die Vergangenheit.

Die „Junge“ sagt einmal: „Ich umarme meine Oma und die Postmoderne umarmt mich“:

Diese Beliebigkeit, diese fehlende Haltung, das Fehlen von Moral und wohin das führt wird deutlich. Eine interessante Pointe ausgerechnet im Kant-Jahr, ausgerechnet in Deutschland.

Das Verdrängte kommt wieder

Die „Alte“ hat im Krankenhaus krakeelt und geschrien.“ Hier sterbe ich nicht!“

Sie kommt nach Hause also, zur Mutter und zur Enkelin. Die Mutter hat sich längst von der Alten distanziert, und Hübbecker macht in einem Monolog wie der Elektra des Sophokles deutlich, wie sehr sie sich von dem Baum, dem Stammbaum der Mutter entfernt und die Axt an diesen Baum legen will.

Dennoch kommt „die Alte“, die Oma nach Haus, die Enkelin hat inzwischen ein „Heft“ gefunden, in dem die Oma alles von damals aufgeschrieben hat.

Eine andere Mutter, die Mutter des Soldaten, hat sich damals aufgehängt an der Garderobe.

Und die Oma will immer noch nichts von ihrer Schuld wissen.

Aber die Oma geht nun doch in den Tod.

Und die Probleme der beiden zurückbleibenden Frauen sind nicht gelöst. Die Psychoanalyse kennt die fatalen Folgen des Verdrängens, des Verschiebens, der Abspaltung in der Person, die sich in Wiederholungen oder extremen Verhaltensweisen auch von masochistischen Handlungen zeigt. Auch bei den folgenden Generationen.

 Die Junge berichtet von brutalen Schlägen ihres Liebhabers, von häuslicher Gewalt, während die Oma hinter ihr wie ein Bild zu den Ursachen am Boden liegt.

Ein Drama, das aufrüttelt und in der Verleugnung jeder Schuld bei der Oma und den ungelösten Problemen geradezu beängstigende Aktualität zeigt: Dieses „Jetzt muss es aber mal gut sein“ mit dem Erinnern kennen wir in Deutschland ja zur Genüge, es ist gerade jetzt wieder hochgekocht.

Langer Applaus nach gut  zwei Stunden Drama mit hervorragenden Schauspielerinnen. In anspruchsvolles Theaterstück, das allerdings durch Kürzungen der inhaltlichen Redundanzen in den Auseinandersetzungen etwa zwischen Mutter und Tochter noch mehr gewinnen könnte.

Weitere Termine und Kartenbestellung unter

www.dhaus.de

Besetzung

Die Junge (30) Pauline Kästner

Die Mittlere (50) Claudia Hübbecker

Die Alte (90) Traute Hoess

4 Schwestern (die Hundsmäuligen) Anya Fischer, Friederike Ott, Janina Sachau, Fnot Taddese

Regie und Bühne Andreas Kriegenburg

Kostüm Andrea Schraad

Licht Konstantin Sonneson

Dramaturgie Robert Koall