Endlich wieder Theater im Schauspielhaus mit „Hyperreal“

„Hyperreal“ schafft es, Corona auch ein Lachen abzugewinnen : Gelungene erste Aufführung seit März im Schauspielhaus unter Corona-Bedingungen

Von Jo Achim Geschke |

Hyperreal, Ensemble, / Foto © Thomas Rabsch D Haus

Es singt und tanzt und tobt und lacht auf der Bühne, und die Zuschauer sind in der dritten Aufführung begeistert: Im Schauspielhaus wird wieder Theater gespielt. Mit „Hyperreal“, einer Komödie in Zeiten von Corona – doch das geht ! – unter der Regie von Constanza Macras, beginnt die neue Spielzeit. Trotz Corona. Und wie die Gefahr von Covid 19 die Proben und die Inszenierung bestimmt hat, zeigen die phantastischen Schauspieler*innen beim Schlussapplaus: Alle halten rund 1,50 Meter Abstand und verbeugen sich nicht wie sonst eng nebeneinander. Schauspieler*innen und Tänzer*innen bringen trotz des ernsten Hintergrunds viel viel Spielfreude auf die Bühne im großen Haus. Der Rezensent besuchte die 3. Aufführung. Auch da tragen die Düsseldorfer ihre Masken, die sonst an ihnen nicht so sichtbar sind, jede zweite Reihe bleibt abgesperrt, zwischen den Sitzplätzen ist Abstand. Da passt dann etwa ein Viertel der sonstigen Zuschauer ins große Haus. Die Stücke dauern zwei Stunden ohne Pause, fast alle behielten die obligatorischen Masken während des Stücks auf und lernten so, dass das durchaus auszuhalten ist.

„Hyperreal“ ist mit einem Modewort angekündigt: „Eine dystopische Science-Fiction-Komödie“ (endlich wieder mal Bindestriche) . Science fiction ist es nicht, es geht von Beginn an um Leben in Zeiten von Corona, absurd, abstrus, sehr menschlich. Dystopie, zurzeit viel gebraucht, ist ein Gegenentwurf zur Utopie etwa von Thomas Morus oder in der deutschen Literatur zur „Insel Felsenburg“ von Johann Gotttfried Schnabel (um 1731 – 1743 entstanden), mit unschönem Ausgang. Ein Stück also zum Nachdenken, für Schauspieler und Tänzer.

Das Bühnenbild dreht sich, ist mal Disco mit großer Treppe und Balkons, mal Lounge mit Sofa und Balkon auf der Rückseite. Von Beginn an ist die Musik da, mal technoartiger Bass, Schauspieler*innen und Tänzerinnen zucken im Roboter-Tanz. Aber bestimmend sind die Zitate der Songs, etwa von Sting oder Pink Floyd.

Und wie geht es denen da auf der Bühne in Corona-zeiten? Fast wia uns, a bisserl überdrehter scho, aber köstlich ! Anna-Sophie Friedmann plappert und spult temporeich einen Monolog ab, der durch den österreichischen Akzent noch an Witz gewinnt, obwohl schon die Aufzählung all ihrer Diätversuche  und der Reduzierung von Bauchfett … aber lassen wir das.

Serkan Kaya klagt über homeschooling und Hausarbeit, und er wird noch mit Goldhose und mitreißenden und überraschenden Song- und Tanzeinlagen nicht nur seine Fans verblüffen, die ihn aus dem Fernsehen kennen (sogar als Polizist). Wie alle Schauspieler*innen mit ihren Tanzeinlagen verblüffen, auch Minna Wündrich etwa, wenn sie im Disco-Kuh-Kostüm wie ein Model verrenkt über die Bühne stakst.

Die Realität des Jahres 2020 kommt mit der Bemerkung daher über ein Zoom-Meeting – wir hatten mehrere in den vergangenen sechs Monaten.

Sebastian Tessenow liest aus „Huxleys „Schöne neue Welt“, die gar nicht so schön ist, liest über die Alpha-Menschen, die Elite also, und die Beta und Epsilons, die unteren Kasten zum Kisten schleppen.

Der Lockdown ist kein Zuckerschlecken, sagt eine. Pink Floyds „Wish you were here“,  Sting  und „don`t stand so close to me“ … die Pop-Musik, unterlegt mit Tanz und distanzierten Zitaten,  beherrscht eine ganze Szene. Und dann diese Kartons, diese ständig gelieferten Kartons, die Zalando-Amazon-Online-billig Kartons … „Ich kauf nur das Teuerste“,  sagt eine. Miki Shoji reißt alle zu Lachen hin, als sie heftig schrill schimpfend und laufend einem Paketboten die Rücksendung klarmacht. Absurdität, die aufklärt. Das ist nicht mein Paket … Und Facebook und Tiktok: Ich hab jetzt ganz neue Freunde, sagt sie, „jeder 2. studiert, Kommunikationswissensschaft, ein ganz neuer Beruf … die sind fast alle in der Werbung“, sagt sie beiläufig. (Und das in Düsseldorf …) Und die griechische Mythologie erobert die Bühne, mit Zeus im Indianer-Kostüm, und kleinen Umdeutungen: „dieser bescheuerte Prometeus, musste der das Feuer erfinden“, heißt es.

Schrödingers schwarze Katze kommt auch vor, das ist eher etwas für Philosoph*innen,  und Mathematikerinnen.  

Aber Dollys Party, die war im Knast, weil sie als Event heißes Öl auf all die Promis hat fließen lassen, das ist eine andere Geschichte.  

Die Erzählungen, die Menschen aus dem Lockdown anderen mitteilen, sind absurd, schräg, irreal, surreal … und manches eben wie in der Realität.

 

Lockdown und zu Hause : so lonely, spricht Tessenow, so lonely, lonely… es wird absurd, dieser Text, der dennoch witzig wirkt. Und dann werden Pop-Musik-Texte auf auf deutsch zitiert, das ist so banal-doof, und da lachen vor allem die Jungen und jung gebliebenen im Publikum. Die neue Deutsche Welle ist auch da: „Sie ist ein Model und sie sieht gut aus….“ Dazu stakst eben Minna Wündrich auf Plateausohlen und Disco-Kuh-Kostüm daher. Muss man kennen, über diese Tanz und Musikeinlagen kann man nicht im Düsseldorfer Plauderton hinwegreden. Denn es endet in Disharmonien. Es ist die Scheinwelt der Popmusik, und der Bestellungen bei Zalando und Amazon, die hier auf die Bühne kommen, absurd, aber so kann man den Wahnsinn vielleicht aushalten. Die Scheinwelt kann aufklären, hat Adorno schon gewusst: Schein ist der Widerschein der gesellschaftlichen Wahrheit.

Aber es ist auch Corona, die Zeit des bedrohlichen „Sars-CoV-2 RNA-Virus“. Da holt der Tod als Lila Lady alle nacheinander.

Bis sie – im Abstand von 1,50 Meter – „This is the End“ tanzen und singen, nicht von The Doors, sondern aus dem Film von 2013, der mit den vielen Stars.

Und dann langer Applaus im Corona-mäßig viertel-vollen Großen Haus, man spürt aber die Begeisterung. Fazit: Karten kaufen! Noch mehrere Vorstellungen, Karten unter

www.dhaus.de

(Autor Jo Achim Geschke)

 

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Hyperreal, Sebastian Tessenow, Minna Wündrich, Adaya Berkovich, Miki Shoji/ Foto © Thomas Rabsch D Haus