Am Gymnasium abgelehnt

Bildungslotterie auf dem Rücken der Kinder (Teil 2)

Von Jo Achim Geschke |

Abgelehnt. Photo von SirName@photocase.de

Nach der Ablehnung an der Wunschschule befinden sich Kinder und Eltern in einem Wechselbad der Gefühle zwischen Angst, Unverständnis und Hilflosigkeit.

Ein Erlebnisbericht von S. Scholz

In der Situation an der Wunschschule abgelehnt worden zu sein, drängt sich den Eltern stets die Frage nach der Fairness gegenüber den Kindern und nach den Auswahlkriterien der Schule auf. Die Kriterien stellen sich für Eltern zunächst eher nüchtern dar. Denn, ja, die Schule informiert pflichtgemäß darüber. Kurz und emotionsfrei:

Bei der Aufnahmeentscheidung wurden folgende Kriterien berücksichtigt:

  • Aufnahme von Geschwisterkindern
  • Losverfahren

Ihr Kind schied im Losverfahren aus.

Nachprüfbar ist das in letzter Konsequenz, und dann auch nur bedingt, mit einem Anwalt, der Akteneinsicht verlangen kann. Das ist allerdings mit hohen Kosten verbunden und die Aussicht auf Erfolg eines Widerspruchs ist beim Losverfahren marginal.

Da setzt man sich als Betroffener also erst einmal wieder hin und will es nicht wahrhaben. Über Bildungschancen und langjährigen Freundschaften der angehenden Gymnasiasten wird in Düsseldorf häufig per Lotterie entschieden.

Für die Kinder, die im letzten halben Jahr motiviert darauf hingearbeitet haben, ein gutes Zeugnis  nach Hause zu bringen, um zusammen mit ihren Freunden die Wunschschule besuchen zu können, zeigt sich hier erstmals:

Leistung wird nicht belohnt. Denn, das Land NRW lässt auch die Anmeldung von Kindern an Gymnasien zu, die nicht einmal entfernt eine Empfehlung für diese Schulform erhalten haben. Das Losverfahren unterscheidet an dieser Stelle nicht. Alle Kinder haben dieselben Chancen.

Dies geschieht, um den Eltern die Wahlfreiheit bei der Schulform zu bieten, und um Diskriminierung zu vermeiden. Das ist durchaus ein edler Gedanke und im Ansatz auch richtig. Nur müsste die Stadt dann konsequenterweise an allen Schulen ausreichend Plätze zur Verfügung stellen. Da das, egal wie man es dreht und wendet, nicht möglich ist,  wäre es deutlich besser, sich komplett von der überholten, ursprünglich leistungsbezogenen Dreiteilung der weiterführenden Schulen verabschieden.

Das dreigeteilte Schulsystem ist würdig, überprüft zu werden, da es vermutlich weder den Kindern noch der gesellschaftlichen Realität gerecht wird. Es ist nämlich erwiesenermaßen eher starr und undurchlässig und begünstigt die Bildung von einkommensabhängigen Eliten oder Ghettoisierung.

Gesamtschulen bzw. Schulen nach dem Modell der amerikanischen High Schools sind vermutlich deutlich erfolgreicher darin, die Kinder gemäß ihren individuellen Begabungen, unabhängig von Einkommen und dem Bildungsstand der Eltern, zu fördern. Viele Eltern bevorzugen mittlerweile auch diese Schulform gegenüber dem Gymnasium, aufgrund des umfangreicheren Fächerangebotes, flexibleren Lehrplänen und der längeren Schullaufbahn gegenüber den G8 Schulen. Belastbare Zahlen dazu liegen leider nicht vor.

Die Auswahl mittels Losverfahren läuft in jedem Fall Gefahr, nicht nur von konventionell denkenden Eltern als ungerecht und ebenfalls diskriminierend empfunden zu werden.

Das Losverfahren will zwar Diskriminierung, vor allem aber die juristische Angreifbarkeit einer Ablehnung vermeiden. Das Versagen des Systems und der politisch Verantwortlichen wird also – unangreifbar – an die Kinder und deren Eltern weitergereicht.

Die Kinder wiederum fühlen sich durch eine Ablehnung oft zurückgesetzt, vor allem wenn die Freunde beim Losverfahren Glück hatten, und ein Kind als einziges aus der Grundschulklasse zurückbleiben muss. Hinzu kommt ein möglicher Vertrauensverlust gegenüber den Eltern, die ihren Kindern vermittelt haben, dass ein gutes Zeugnis alle Türen öffnet.

In der Folge gibt es in vielen Familien jetzt Erklärungsbedarf und die Eltern sind gefordert, Ihren Kindern behutsam beizubringen, dass die Ablehnung der Schule keine Strafe darstellt, und dass am Ende doch noch alles gut werden kann.

Aber ist das in Düsseldorf in jedem Fall realistisch? Spielen wir mal ein mögliches Extrembeispiel durch, denn es kann jeden treffen.

Wer in diesem Jahr am Wunsch-Gymnasium in Düsseldorf abgelehnt wurde, dem offeriert die Stadt die Möglichkeit, an lediglich fünf anderen Schulen unterzukommen:

Städt. Friedrich-Rückert-Gymnasium (Telefon 89-98310)
Städt. Georg-Büchner-Gymnasium (Telefon 89-94005)
Städt. Gymnasium Koblenzer Straße (Telefon 89-97600)
Städt. Luisen-Gymnasium (Telefon 89-98570)
Städt. Gymnasium Schmiedestraße (Keine Telefonnummer)

 

Damit qualifiziert sich das frisch aus der Taufe gehobene städtische Gymnasium an der Schmiedestraße verdient als Extrembeispiel, auch weil es derzeit mit nur 16 Anmeldungen das Schlusslicht unter allen Gymnasien darstellt. 75 Anmeldungen sind übrigens notwendig, damit der Betrieb dort aufgenommen werden kann.

An der Adresse in Oberbilk befindet sich zurzeit noch die Adolf-Reichwein-Hauptschule. Die Hauptschule soll in den nächsten Jahren zwar auslaufen, zunächst wird das Gymnasium jedoch in einem Gebäude der Hauptschule starten. Es gibt bereits Pläne zur Erweiterung, denn die Räumlichkeiten werden für ein 4-zügiges Gymnasium absehbar nicht ausreichen.

Man kann bei der Stadt nachlesen, dass die Erweiterung inklusive Sporthalle zum Beginn des Schuljahres 2020/21 erforderlich wird. Es wird also im laufenden Betrieb Abriss- und Neubauarbeiten geben.

Man muss daher kein Hellseher sein, um diverse Provisorien in den nächsten acht Jahren vorauszusagen. Die Schule erscheint aufgrund der wenigen verfügbaren Informationen, mit vielen Konjunktiven, derzeit insgesamt eher als Provisorium. Was das für die Schüler und das Lehrerkollegium am Ende bedeutet, ist kaum abzusehen.

Die Stadt versucht aus diesem Grund aktuell mit allen Mitteln, den Eltern die Schule schmackhaft zu machen. Die „Werbung“ für die Schule erfolgt über die Webseite der Stadt und die bekannten Lokalzeitungen. Und das scheint auch dringend notwendig, denn wie eingangs erwähnt, die Schule hat nicht einmal eine Telefonnummer. „Senden Sie eine E-Mail, man wird sie zurückrufen“. Das ist wenig vertrauenserweckend für Eltern, die derzeit verständlicherweise ein wenig in Panik sind.

Auf den Web-Seiten der Stadt liest man unter anderem auch: „Zudem bietet die Schule eine Talentschmiede an, in der die Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Musizieren, Künstlerisches Gestalten, Forschen, Theater und Bewegung gefördert werden.“ Das klingt zunächst toll, geplant ist jedoch nur eine einzige Stunde pro Woche für diese „Talentschmiede“.

Auch der Ansatz, eine Bläserklasse (2 Wochenstunden) einzurichten, ist für sich betrachtet, uneingeschränkt  begrüßenswert, und wurde an anderen Schulen (z.B. Rückert-Gymnasium) bereits mit Erfolg umgesetzt. Doch ist eine monatliche Mietgebühr von 32,00 € für das notwendige Instrument und eine Mietvertragsbindung von 2 Jahren wirklich ein attraktives und vor allem realistisches Angebot? Es steht zu hoffen, dass diese Klasse stattfinden kann. Zweifel sind leider berechtigt, sofern seitens der Stadt keine Zuschüsse für weniger gut verdienende Eltern erfolgen.

Das Fremdsprachenprogramm wird eventuell ebenfalls nicht alle Eltern ansprechen, die erste Fremdsprache ist Englisch, die zweite Spanisch oder Latein. Weiteres steht noch nicht fest.  Das ist auf den ersten Blick in Ordnung, immerhin ist Spanisch nach Englisch die zweithäufigst gesprochene Sprache weltweit. Viele Eltern entscheiden sich jedoch bewusst für Schulen, die Französisch anbieten. Dies ist oft der Fall, wenn das Kind bereits zweisprachig, deutsch/französisch, aufgewachsen ist, was in Düsseldorf aufgrund der vielen französischen Mitbürger absolut keine Seltenheit ist.  

Legt man also gesteigerten Wert auf die Sprachwahl Französisch, dann wird man an der Schmiedestraße nicht glücklich, kann aber beispielsweise noch auf das Luisen-Gymnasium in der Innenstadt ausweichen. Das Luisen-Gymnasium bietet Französisch bereits ab der 5. Klasse an, und ist auch die einzige öffentliche Schule im Regierungsbezirk Düsseldorf, die den Erwerb der doppelten Hochschulreife (deutsches Abitur und französisches Baccalauréat) ermöglicht.

Wer sich dennoch mutig gibt, und sich von der im Vergleich mit anderen Schulen eher reizlos wirkenden Einrichtung an der Schmiedestraße ein erstes Bild machen möchte, der kann die leider etwas lieblos zusammengestellte Powerpoint-Präsentation herunterladen oder die entsprechende Info-Seite der Stadt besuchen. Ein Termin vor Ort ist sicher besser geeignet, um sich ein Bild zu machen.

Unter der Hand hört man allerdings, von allen die es wissen müssen, fast durchweg, dass die Eignung des Standortes für ein Gymnasium eher zweifelhaft ist, und dass dies eine eher noch positive Sichtweise darstellt.

Diese Aussagen sind ganz klar Vorurteile. Die Stadt hat jedoch viel zu spät angefangen, diese vorhersehbaren Vorurteile offensiv mit validen Fakten zum Kollegium, der Schulleitung  und einem attraktiven Schulprogramm zu zerstreuen. Vielleicht, weil es diese Informationen noch nicht gibt?

Werden informierte und verantwortungsvolle Eltern Ihr Kind ernsthaft und guten Gewissens auf einer Schule anmelden, deren Betrieb nicht gesichert ist, und nur mit Zwangszuweisungen seitens der Verwaltung gesichert werden kann?

Sagen wir es mal so, es wäre großartig, wenn der Stadtteil Oberbilk ein attraktives und modernes Gymnasium mit zeitgemäßer Ausstattung bekäme. Es wäre toll, wenn sich die Stadt für die Schule nicht nur auf dem Papier einsetzen würde, und Partnerschaften, über die andere Schulen seit langer Zeit verfügen, mit außergewöhnlichem Engagement schnell etablierte. Und wenn es ein attraktives Schulprogramm gäbe, das nicht von Konjunktiven beherrscht wäre, dann würden eventuell auch mehr Eltern das nicht zu unterschätzende Risiko eingehen, ihr Kind am Standort in Oberbilk anzumelden.

Die verfügbaren Informationen sind jedoch im Moment schlicht nicht überzeugend und reichen einfach nicht aus. Selbst wenn man weltoffen, vorurteilsfrei, engagiert und optimistisch ist, die Schule ist dem Vergleich mit den anderen etablierten Gymnasien in Düsseldorf aktuell überhaupt nicht gewachsen.

Übertrieben, Luxusprobleme, mag manch einer jetzt sagen. Und der Autor würde vermutlich zustimmen, würde es nicht um Kinder gehen, die etwas Besseres verdient haben, als sicher gut gemeinte, jedoch lieblos zusammengezimmerte Notlösungen, die man den Eltern jetzt versucht schön zu reden - und wären die nächsten 8 Jahre für die Kinder nicht so extrem wichtig und wegweisend für das, was danach kommt: Nämlich der ganze Rest des Lebens.

Wir wollen zu guter Letzt nicht verheimlichen, dass rp-online einige der für den Standort Schmiedestraße Verantwortlichen befragt hat und diese naturgemäß ein eher positives Bild der Schule zeichnen. So kann man hier nachlesen: „Menschen, die Einwände gegen die Lage hätten, empfahl der Vorsitzende des Schulausschusses Wolfgang Scheffler (Grüne), sich selbst ein Bild zu machen“.

Da auf den Web-Seiten der Stadt und auch über die Google-Suche leider keine Informationen über das zukünftige Kollegium und die Räumlichkeiten aufzufinden waren, haben wir uns vorerst leider nur von außen ein Bild machen können. Am 20.02.2016:

 

 

 

 

Wir werden, sobald verwertbare Informationen seitens der Stadt oder der Schule vorliegen, gerne erneut berichten. Und wir hoffen sehr, deutlich positiver berichten zu können. Bis zur Aufnahme des Betriebs am Ende der Sommerferien ist ja noch ein wenig Zeit.

Eine Schule ohne Telefonnummer? Das ist tatsächlich die bittere Realität.