DGB – Interview mit Nihat Öztürk

DGB – Interview mit Nihat Öztürk

Von Jo Achim Geschke |

Nihat Öztürk (li) / Foto NDOZ Archiv

Der DGB startete ein neues Format mit Interviews von Gewerkschaftern. Das erste führte Thomas Ziegler vom DGB Düsseldorf mit Nihat Öztürk, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Düsseldorf/Neuss. Öztürk verweist darauf, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und in Düsseldorf bei weitem nicht so wundervoll ist, wie sie meist dargestellt wird. Die Sparpolitik von Schäuble/ Merkel führt durch die absackende Konjunktur inklusive Binnennachfrage beispielsweise in Spanien, Portugal, Risiken inzwischen sogar bei den baltischen Staaten, wie es der Ökonom Heiner Flassbeck (siehe Link) aufzeigte, führt auch zu Risiken in der deutschen Wirtschaft. Siehe Öztürks Vergleich zwischen dem Banken-Krisenjahr 2008 und heute.

Wir veröffentlichen das Interview im Wortlaut. Einschätzungen zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie zur Sparpolitik der EU und der Bundesregierung wird NDOZ.de nach der jetzt beendeten Sommerpause  in den kommenden Tagen veröffentlichen.  

Im Gespräch mit … Nihat Öztürk, 1. Bevollmächtigter und Geschäftsführer der IG Metall Düsseldorf-Neuss

 TZ: Nihat, in einigen Betrieben kriselt es derzeit gewaltig. Gleichzeitig laufen die Vorbereitungen auf die  Tarifverhandlungen 2016 schon bald an. Welche Baustellen haben derzeit bei euch oberste Priorität?

 Öztürk: Nach der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise in 2008-2010 hatten wir in unserer Region zwei Insolvenzen und einen einzigen Betrieb mit Abbau der Stammbelegschaft. Die meisten Betriebe hatten damals versucht, mit Arbeitszeitkonten, Qualifizierung, Kurzarbeit oder Absenkung der Arbeitszeit die Beschäftigung zu sichern.

Zur Zeit haben wir in zwei Dutzend Betrieben Beschäftigungsprobleme: Personalabbau, Massenentlassungen, (Teil-)Schließungen, Verlagerungen und zwei Insolvenzen. Somit ist der drohende Arbeitsplatzabbau viel schlimmer  und trifft die Region viel härter als während der Krise. Deshalb hat die Begleitung und Unterstützung der Betriebsräte und Belegschaften in den Krisenbetrieben für uns absolute Priorität.

 TZ: Man liest und hört aber, wie gut die wirtschaftliche Situation in Deutschland ist. Was sind die Ursachen für diese entgegengesetzte Entwicklung in der Region Düsseldorf-Neuss. Sind das hausgemachte oder etwa regionale Probleme?

 

Öztürk: Die Situation ist im Allgemeinen tatsächlich gut in Deutschland – jedoch nicht überall.

Meines Erachtens wird die Krise in vielen Regionen Deutschlands durch die hervorragende Lage in Bayern und Baden-Württemberg überdeckt. Die exportstarken Branchen wie zum Beispiel  Maschinenbau, Elektrotechnik und Automobilindustrie machen im Wesentlichen den deutschen Erfolg auf dem Weltmarkt aus.

In unserer Region sind die meisten Betriebe zwar sehr innovativ und effizient, also gut aufstellt und sehr wettbewerbsfähig. Dennoch leiden sie und die Belegschaften unter einer Vielzahl von Problemen, die extern verursacht sind. Die Eurokrise und die schlechte Konjunktur in Südeuropa, die drastisch gesunkenen Öl- und Gaspreise, die Überkapazitäten im  Stahlsektor, die geo-politischen  Krisen in Osteuropa und im Mittleren Osten und schließlich die Internationalisierungsstrategien von Konzernen sind die wesentlichen Gründe für die aktuelle Beschäftigungskrise in der Metallwirtschaft.

 Was die Tarifrunde Metall und Elektro angeht: Die Entgelttarifverträge laufen am 31. März 2016 aus. Wir haben also genug Zeit, mit den Belegschaften und in der Tarifkommission über die Erwartungen unserer Mitglieder, und ebenso über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen  der Tarifauseinandersetzung, zu diskutieren. Denn das Wichtigste bei allen Tarifrunden ist, dass Mitgliederorientierung und Mitgliederbeteiligung im Zentrum des Geschehens stehen.                                                                                        

Jede Tarifrunde ist eine Herausforderung. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass auch die nächste Tarifrunde ein Erfolg sein wird. Denn wir sind Tarifprofis und finden stets eine gute Balance zwischen sozialer Verteilungsgerechtigkeit und wirtschaftlicher Vernunft.

TZ: Düsseldorf hat im Vergleich zu anderen Großstädten in NRW ein erhebliches Problem bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen. Wird die Stadt ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht?

 Öztürk: Langzeitarbeitslosigkeit heißt Armut,- und sie nagt am Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl der betroffenen Menschen.

Ohne Unterstützung der öffentlichen Hand wird sich das Problem nicht einstellen.

Die Stadt versucht, ihrer sozialen Verantwortung nachzukommen. Mit der kommunalen Beschäftigungsförderung, die kürzlich von der Ampelkoalition beschlossen wurde, sollen sozialverträgliche Arbeitsplätze geschaffen und die Zukunftsperspektiven für die Langzeitarbeitslosen verbessert werden.

Ich habe zu unserem Oberbürgermeister Thomas Geisel viel Vertrauen – und die Hoffnung, dass er dieses soziale Problem beherzt angehen will.

Das Problem mit der Langzeitarbeitslosigkeit kann aber die Stadt allein nicht lösen.     Wichtig ist, dass auch die Arbeitgeber Älteren und Langzeitarbeitslosen eine Chance geben, zumal sie ständig fordern, dass wir alle länger arbeiten sollen und dass auf die Erfahrung und Kompetenz der älteren Arbeitnehmer/innen nicht verzichtet werden kann. Zur Zeit erkenne ich keine große Bereitschaft der Arbeitgeber, Ältere und Langzeitarbeitslose einzustellen und somit mehr soziale Verantwortung zu übernehmen.

 TZ: Mitte Juni wurde beim Fest der Vielfalt auf die Probleme der Flüchtlinge in der Landeshauptstadt hingewiesen. Wie müsste deiner Meinung nach eine würdige Flüchtlingspolitik einer Landeshauptstadt sein?

 Öztürk: Das Fest der Vielfalt war ein voller Erfolg.

Die Landeshauptstadt Düsseldorf ist eine weltoffene Stadt, die wie keine andere Stadt in NRW wirtschaftlich und kulturell globalisiert ist. Und die Stadt versucht, eine gute Willkommenskultur zu pflegen.

Oberbürgermeister Thomas Geisel hat bei den vielen „No-Dügida-Kundgebungen“ und bei dem Fest der Vielfalt ermutigende Akzente gesetzt. Auch die Stadtgesellschaft hat eindrucksvoll gezeigt, dass sie gegen Ressentiments und Rassismus ist und Zuwanderer und Flüchtlinge willkommen heißen und unterstützen will.

Allerdings brauchen wir für eine gelungene Willkommenskultur auch eine gute Willkommensstruktur – und die fehlt noch weitgehend in Düsseldorf.

Also interkulturell hat die Stadt noch einen langen Weg vor sich.

Doch der erste Schritt wurde vom Oberbürgermeister Thomas Geisel getan: Er hat mit der Ernennung von Miriam Koch als Flüchtlingsbeauftragte  – der ersten Flüchtlingsbeauftragten der Stadt überhaupt – eine sehr gute Wahl getroffen.

Ich hoffe, dass weitere Maßnahmen zur besseren Unterbringung und „Integration“ der Flüchtlinge im Bildungssystem und Arbeitsmarkt folgen werden.

Und schließlich: Die Landeshauptstadt braucht ein attraktives und repräsentatives „Haus der Kulturen“ – ein interkulturelles Zentrum für Dialog, Begegnung und internationale Freundschaften.

 Das Interview führte:
Thomas Ziegler
DGB-Region Düsseldorf-Bergisch Land


(Link zu Ökonom Heiner Flassbeck :www.flassbeck-economics.de/