Der „Tag der Befreiung“ oder „VE-Day“, markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. In einigen Ländern ist der 8. Mai daher zu Recht ein Feiertag.

Sollte der 08. Mai auch in Deutschland ein Feiertag sein?

Von Stefan Scholz, Iman Uysal |

Auschwitz, Poland / Foto © Magdalena Smolnicka, unsplash

Auschwitz, Poland / Foto © Magdalena Smolnicka, unsplash

Am 8. Mai 1945 trat die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Kraft. Bereits in der Nacht vom 6. auf den 7. Mai unterzeichnete der deutsche Generaloberst Alfred Jodl in Reims, Frankreich, die Dokumente im Namen des Oberbefehlshabers der Wehrmacht, Großadmiral Karl Dönitz. Das 1.000-jährige Reich und weite Teile der Welt lagen in Trümmern, der wahnsinnige Führer war seit dem 30. April tot.

Die Frage, ob der 8. Mai in Deutschland ein Feiertag sein sollte, beschäftigt die Politik seitdem immer wieder und spätestens seit 1970 ist die Debatte ernst zu nehmen. Anlässlich des 25. Jahrestages gab die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt als erste Bundesregierung eine offizielle Regierungserklärung im Deutschen Bundestag ab. Vertreter der CDU/CSU-Opposition versuchten dies zu verhindern und erklärten „Niederlagen feiert man nicht“ und „Schande und Schuld verdienen keine Würdigung“. Beide Argumente sind schwer zu verdauen, letzteres geht so gerade noch durch, für die Einordnung des ersten Argumentes fehlen uns die passenden Worte.

Vom „Tag der Niederlage und Schande und Schuld“ zum „Tag der Befreiung“, ein weiter Weg. Aber auch der richtige Weg?

Am 40. Jahrestag, dem 8. Mai 1985 wurde das Datum schliesslich zum ersten Mal von einer ebenso umfangreichen wie kontroversen Debatte begleitet, der Deutsche Bundestag veranstaltete auf hohem protokollarischem Niveau eine Gedenkstunde.

Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker bezeichnete in seiner Rede den 8. Mai als „Tag der Befreiung […] von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“.

Auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder äußerte sich am 8. Mai 2000 ähnlich: „Niemand bestreitet heute mehr ernsthaft, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung gewesen ist – der Befreiung von nationalsozialistischer Herrschaft, von Völkermord und dem Grauen des Krieges.“

Anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz forderte auch die Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der Bundesrepublik Deutschland, Esther Bejarano, den 8. Mai zu einem Feiertag zu erklären.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich jedoch die Frage, ob es legitim ist, auch in Deutschland den 8. Mai als „Tag der Befreiung“ zu feiern? Es gibt tatsächlich gute Argumente dagegen und „Niederlagen feiert man nicht“ ist selbstverständlich keines davon.

Zunächst stellt sich wohl die Frage, wer denn überhaupt befreit wurde. „Das deutsche Volk“, das den Führer in seinem Wahn bis zum Ende aktiv und passiv unterstützte und sich in übergroßer Mehrheit nicht gegen das Nazi-Regime zu Wehr setzte? Wohl kaum.

Eine Bevölkerung, die noch vom Endsieg träumte, während die industrielle Vernichtung von Menschenleben in den Konzentrationslagern weiter beschleunigt wurde und viele Städte bereits in Schutt und Asche lagen, hat sicher kein legitimes Recht auf einen „Tag der Befreiung“. Hatte kein Recht, muss man wohl heute sagen, denn wer 1945 25 Jahre alt war, der wäre heute 97 Jahre alt.

Dürfen sich also die nach 1945 geborenen Deutschen glücklich schätzen über das Ende des Nazi-Regimes und des Krieges? Ja, ganz sicher. Dennoch sollte der 8. Mai für die Deutschen ein Tag des Gedenkens an die kollektive Schuld der eigenen Vorfahren bleiben. Und das ist nichts, was man feiert. Daher ist das Wort „Feiertag“ in diesem Kontext mindestens irreführend oder einfach falsch. Das gilt womöglich auch für weitere "Feiertage", für den 8 Mai jedoch im Besonderen.

Seit dem 8. März 2002 ist der 8. Mai im Land Mecklenburg-Vorpommern staatlicher Gedenktag als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des 2. Weltkrieges“.

Gedenktag ist zunächst das richtige Wort. Der Zusatz „Befreiung“ klingt jedoch ironisch oder sogar zynisch vor dem Hintergrund, dass die NSDAP 1933 z.B. in Mecklenburg-Schwerin 48,5% und die nationalkonservative DNVP 16,8% der Stimmen gewannen. Man wählte den Nationalsozialismus und den damit einhergehenden Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus im ganzen Land und fühlt sich heute davon „befreit“? Auch das klingt im historischen Zusammenhang „verkehrt“.

Den Tag des Gedenkens an die Opfer des deutschen Nationalsozialismus gibt es bereits, das ist der 27. Januar, der Tag an dem Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit wurde.

Was soll man also nun machen mit dem 08. Mai?

Feiertag klingt falsch und eine Befreiung dürfen an sich nur die feiern, die vorher gefangen waren. Es ist schwierig. Da mag es eine Idee sein, die Befreiten und die Befreier den Tag feiern zu lassen und im stillen Gedenken an die Opfer des Nazi-Regimes dankbar zu sein, dass andere den Mut und die Kraft hatten, den Irrsinn in Deutschland zu stoppen. Denn die Deutschen hatten diesen Mut nicht. Das zumindest darf auf keinen Fall vergessen werden.

Was heute am 8. Mai wirklich wichtig ist, ist die Liste der Befreiung (Auszug):

  •     23. Juli 1944: KZ Majdanek, Polen; befreit durch sowjetische Truppen
  •     13. Oktober 1944: KZ Riga-Kaiserwald, Lettland; befreit durch sowjetische Truppen
  •     27. Oktober 1944: KZ Herzogenbusch, Niederlande; befreit durch kanadische Truppen
  •     23. November 1944: KZ Natzweiler-Struthof, Frankreich; befreit durch US-Truppen
  •     27. Januar 1945: KZ Auschwitz, Polen; befreit durch sowjetische Truppen
  •     13. Februar 1945: KZ Groß-Rosen, Polen; befreit durch sowjetische Truppen
  •     7. April 1945: KZ-Außenlager Vaihingen; befreit durch französische Truppen
  •     11. April 1945: KZ Buchenwald, Deutschland; befreit durch US-Truppen
  •     11. April 1945: KZ Mittelbau-Dora, Deutschland; befreit durch US-Truppen
  •     15. April 1945: KZ Bergen-Belsen, Deutschland; befreit durch britische Truppen
  •     22. April 1945: KZ Sachsenhausen, Deutschland; befreit durch sowjetische und polnische Truppen
  •     23. April 1945: KZ Flossenbürg, Deutschland; befreit durch US-Truppen
  •     29. April 1945: KZ Dachau (Hauptartikel: Befreiung des Konzentrationslagers Dachau), Deutschland; befreit durch US-Truppen
  •     30. April 1945: KZ Ravensbrück, Deutschland; befreit durch sowjetische Truppen
  •     2. Mai 1945: KZ Neuengamme, Deutschland; befreit durch britische Truppen
  •     5. Mai 1945: KZ Mauthausen, Österreich; befreit durch US-Truppen
  •     9. Mai 1945: KZ Stutthof, Polen: befreit durch sowjetische Truppen

Die Opfer des nationalsozialistischen Regimes:

  • Juden: Etwa 6 Millionen Juden wurden während des Holocaust ermordet. Diese Zahl schließt diejenigen ein, die in Konzentrations- und Vernichtungslagern, Ghettos und durch Massenerschießungen getötet wurden.
  • Sinti und Roma: Schätzungsweise 220.000 bis 500.000 Sinti und Roma wurden im Porajmos, der Verfolgung und Vernichtung dieser Bevölkerungsgruppe, getötet.
  • Homosexuelle: Zwischen 10.000 und 15.000 Homosexuelle wurden in Konzentrationslagern inhaftiert, und viele von ihnen starben dort. Die genaue Zahl der ermordeten Homosexuellen ist schwer festzustellen, da sie auch Opfer von anderen Verfolgungsgründen sein konnten.
  • Zeugen Jehovas: Etwa 2.500 bis 5.000 Zeugen Jehovas wurden aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen inhaftiert, von denen schätzungsweise 1.000 bis 2.500 in Konzentrationslagern ums Leben kamen.
  • Menschen mit Behinderungen: Im Rahmen des sogenannten "Euthanasie"-Programms (Aktion T4) wurden etwa 70.000 bis 200.000 Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen systematisch ermordet.
  • Polen und sowjetische Kriegsgefangene: Etwa 1,8 Millionen polnische Zivilisten und 3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene starben infolge von Zwangsarbeit, Hunger, Misshandlung und Mord.
  • Politische Gegner und Widerstandskämpfer: Tausende politische Gegner des NS-Regimes, darunter Kommunisten, Sozialisten und andere Widerstandskämpfer, wurden inhaftiert, gefoltert und getötet.
  • Andere Opfer: Dazu gehören Freimaurer, Esperantisten, Slawen, afrikanische und afrodeutsche Personen, sogenannte "Asoziale" und andere ethnische und soziale Gruppen, die vom NS-Regime verfolgt und getötet wurden. Die genaue Anzahl dieser Opfer ist schwer zu bestimmen.

Diese Zahlen sind Schätzungen, die tatsächliche Anzahl der Opfer könnte noch höher sein.

Und es gibt weitere Opfer, von denen selten jemand spricht:

Viele Menschen wissen bis heute nicht, dass auch schwarze Personen in Deutschland den nationalsozialistischen Verfolgungen ausgesetzt waren, da bislang nur wenig an sie erinnert wird. In Europa gibt es rund 90.000 Stolpersteine, um an die Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken, davon sind in Deutschland vier (4) den Schwarzen Opfern des Nazis-Regimes gewidmet.

Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, wurden Schwarze ohne deutsche Staatsbürgerschaft abgeschoben. Schwarzen Deutschen wurde die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Am 14. November 1935 trat die Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz in Kraft und interkulturelle Beziehungen und Ehen mit Schwarzen Personen wurden als „Rassenschande“ strafrechtlich verfolgt. Zuchthaus oder auch Zwangssterilisation waren die Folge. Zahlen dazu findet man kaum, weil diese Verbrechen nicht systematisch erfasst wurden.

Viele Afro-deutsche Autoren versuchen auf die Schwarzen Opfer des Nationalsozialismus aufmerksam zu machen. Einer von ihnen ist der Journalist Serge Bilé. In seinem Buch „Das schwarze Blut meiner Brüder", thematisiert der Autor die Verfolgung und Ermordung der Schwarzen während der Nazizeit. In „Wege aus der Kälte" behandelt Dr. Marion Kraft, Afro-deutsche Autorin und Dozentin für Literaturwissenschaften, eine lange Geschichte des Rassismus.