Es gibt radikale, rückwärtsgewandte Christen katholischen und evangelischen Glaubens in Deutschland, sie sind sind gegen Abtreibung, gegen Schwule und gegen Feminismus, sie wollen ein ultrakonservatives Gesellschafts- und Frauenbild als allgemeine Gesellschaftsnorm durchsetzen, erläuterte Uli Jentsch vom bekannten Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. (apabiz). Seit 2008 wurden dort Strukturen der Rechten und Rechtsradikalen dokumentiert und untersucht, „und wir haben immer wieder fundamentalistische Christen gefunden“, so Jentsch.
Ein bisher schon beobachteter, christlich motivierter Antisemitismus wurde in letzter Zeit bereits mit einem antimuslimischen Rassismus verbunden. Der Koran wird in geschickter Weise, so Jentsch, nur in einer beschränkten Auswahl zitiert. Thema ist dabei meist „die Unterwanderung Europas durch den Islam“. Zum anderen gibt es einen rückständigen Protestantismus. Vertreter und Ideen finden sich wieder bei den „Christen in der AfD“, auch Crafd abgekürzt. Am einflussreichsten sind die Evangelikalen, für die die Bibel in ihrer einseitiger Auslegung auch als Leitfaden für das politische und das private Leben dient. So gibt es etwa die“Deutsche evangelische Allianz“, Vertreter sitzen auch in der CDU, so in der Gruppe „Christdemokraten für das Leben“ mit circa 5000 Mitgliedern. Einer der führenden Ideologen ist Mathias von Gersdorff, er schreibt in der sehr professionell gemachte „Idea“ sowie „Idea Spectrum“. Von Gersdorff schreibt nicht nur dort, sondern auch in der „Jungen Freiheit“. Neben den Evangelikalen gibt es ebenso den militanten Katholizismus. Beide Bewegungen sind nicht Teil der Amtskirche, die evangelischen Kirche steht mehrheitlich gegen die Evangelikalen. Ähnlich ist es in der katholischen Amtskirche.
Die Themen sind ähnlich wie bei der Ideologie der AfD: Gegen Schwule, Lesben und Transgender, gegen gleichgeschlechtliche Ehe, gegen die „Islamisierung“, für ein Verbot von Abtreibung ... Ausdruck davon ist etwa in Berlin der sogenannte „Marsch für das Leben“ einer Lebenschutzbewegung, bei der früher 1000 bis 2000, inzwischen 5000 bis 7000 Menschen mitmarschierten, erläuterte Jentsch.
Hier gibt es einen direkten Bezug zu Düsseldorf: Birgit Kelle, rechtsaußen-Journalistin, die sich unter der Maske eines neuen Feminismus für die Frauenideal der Kindererziehung und der Frau im Heim einsetzt. Sie wurde 2016 von CDU-MdB Sylvia Pantel zu einer Diskussion eingeladen. Auch Berit Zalbertus (CDU), die stimmte in Facebook Autorin Kelle mehrfach zu. Kelle gehört laut Wikipedia zum Netzwerk von Beatrix von Storch (AfD).
Die sogenannten „Neuen Rechten“, wie sie sich selbst bezeichnen, beziehen sich allerdings eher auf eine völkisch geprägte Ideologie. Vertreter etwa wie Höcke von der AfD reden eher einem Staat der Vor-Weimar-Zeit das Wort und wollen ein „homogenes Volk“.
Klar ist aber auch, das ähnlich wie in den USA bei den Evangelikalen und den Fundamentalisten sehr viel Geld vorhanden ist, dass in eigene Fernsehsendungen (etwa bei Bibel-TV) und in Broschüren gesteckt wird. Mathias von Gersdorff etwa publiziert nicht etwa nur in “idea“ und „Junge Freiheit“, er hält ebenso Vorträge und ist laut Jentsch auch Lobbyist im Deutschen Bundestag.
Warum radikalisieren sich Jugendliche im Neo-Salafismus?
Zum Thema referierte Dr. Michael Kiefer, Islamwissenschaftler und Dozent an der Uni in Osnabrück, an der auch Lehrer für Islamischen Religionsunterricht ausgebildet werden. Ähnlich wie bei den fundamentalistischen Christen meinen die Neo-Salfisten, der Koran und die „Sunna“enthielten alles alles, was man als Regeln und Anleitungen für das Leben brauche.
Für Jugendliche anziehend ist, dass es feste Regeln gebe, so Kiefer. Der Alltag und die Handlungen werden klar aufgeteilt in „Halal“ und “Haram“ (etwa: in Gut und Böse, in richtig und falsch).
Kiefer betonte allerdings, dass es keine allgemein anzuwendenden Formeln oder Schemata gebe, um eine Radikalisierung bei Jugendlichen zu erklären: „Jeder Fall ist anders.“
Aber einige Kennzeichen gebe es eben doch: Die quasi-religiösen Gruppe bietet zum einen feste Orientierungen, zum anderen eine „Selbstüberhöhung“ in der Form wie „Wir sind die Avantgarde“. Die Gemeinschaft der klar autoritär strukturierten Gruppen pflegt zudem das Bild einer „Hypermännlichkeit“ etwa in den Videos des „Daesh“ und seiner Hochglanz-Zeitschrift. Dazu kommt damit auch das „Ausleben von Gewaltphantasien“.
Jugendliche, die sich radikalisierten, fasste Kiefer bisherige Forschungsergebnisse zusammen, haben immer auch eine „Krisenerfahrung“ hinter sich: Trennung etwa der Eltern oder von Freundinnen, lange Arbeitslosigkeit, lange Krankheit in der Familie …
Eine der wichtigsten Erfahrung der Jugendlichen sei aber die Erfahrung von Diskriminierung. Sie hätten ein Gefühl, „nicht dazu zu gehören“. Die Gruppe biete dagegen Halt, eine Abgrenzung nach außen.
„Lego-Islam“
Islamwissenschaftler Kiefer betonte, das eigentlich alles, was der Daesh (sogenannter IS) macht, „im Islam verboten ist. Aber in Europa wird gedacht, das ist alles Islam. Nun sollen sich Muslime in Deutschland verteidigen – aber sie haben damit gar nichts zu tun.“ Das sei eben kein Islam - bei den Neo-Salafisten und ähnlichen Gruppen sowie beim Daesh handele es sich eher um einen „Lego-Islam“, es würden kleine Bausteine des Koran „so lange zusammen gesetzt, bis er passt“ zur eigenen Ideologie.
Dazu kommen, so Kiefer, „objektive Konfliktlagen“: Viele Jugendliche kommen mit Bildern und Videos in die Schule von Konflikten, sei es in Gaza, in Palästina, in Afghanistan oder eben Syrien. Sie sehen Bilder von toten Kindern, von Toten in Aleppo, von Hunderttausenden von Toten in Syrien und fragen: „Warum tut ihr nichts dagegen?“ Die meisten können in der Schule aber nicht wirklich darüber reden, was sie bewegt.
(Text Jo Achim Geschke)